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Nomaden des Nordens: Sápmi

 
Heute ist Nationalfeiertag der Sami. Der Name kommt vom samischen „sápmi“, ein Wort, das kaum übersetzbar ist: es umfasst alles, was den Samen wertvoll und unverzichtbar ist: ihr Volk, die Natur, die Kultur. 
Sie gelten als das letzte Naturvolk Europas. Und sie leben in der letzten Wildnis Europas.
Schwer zu ergründen, dafür umso faszinierender. Und wie die 250 Jahre alte Kirche von Pielpajärvi dazu passt.
 
Unverhoffte Aussichten im Wald. Lappland Finnland ©Foto: Tarja Prüss | Tarjas Blog
Unverhoffte Aussichten im Wald. Lappland Finnland ©Foto: Tarja Prüss | Tarjas Blog

Samen in Lappland – eine Minderheit  

 
Die Ureinwohner Nordeuropas, Nomaden, Jäger, Fischer, Rentierzüchter. Das fällt mir als erstes dazu ein. Mit einer außergewöhnlich innigen Verbundenheit zur Natur, mit eigener Kultur voller Mythen, Geister und den fremdartigen Klängen der Joikgesänge. 
 
Tiefer eintauchen in die samische Kultur kann man im samischen Museum in Inari und auch in Rovaniemi. Sie öffnen eine Tür zu Leben, Denken und Traditionen der Sami. Zu sápmi.
Im Siida-Museum in Inari erfahre ich, dass finnisch-samisch schon 3.000 vor Christus gesprochen wurde – dass 1557 das erste samischsprachige Wörterverzeichnis (!) erstellt – 1925 (!) dagegen erst die Landstraße nach Inari fertiggestellt wurde. 

Sápmi: Eine Minderheit

Ich staune. Schon vor über 10.000 Jahren bewohnten die Vorfahren der Sami die eisigen Regionen in Nordeuropa. Heute leben noch knapp 70.000 der Ureinwohner in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Schon im frühen 16. Jahrhundert begannen die Sami mit der Herdenbildung und Rentierzucht. Mit ihren großen Herden zogen sie zwischen den jahreszeitlich wechselnden Weidegebieten hin und her. 

Im Winter blieb man an einem Ort: Siita, was soviel wie Markt, aber auch Winterdorf bedeutet. Ein temporäres Dorf, um den Winter zu überstehen. Um zu überleben. Da gabs kein überflüssigen Nippes, kein Schnickschnack – Kleidung, Transportmittel, Behausungen – alles wirkt sehr gut durchdacht, sehr pragmatisch. Gleichzeitig nutzten sie die Zeit, um Handel zu treiben und religiöse und gerichtliche Angelegenheiten zu regeln.

Klare Farben – Grundfarben für die Kleidung: blau, gelb, rot. Keine Mischfarben, aber hier gönnte man sich wenigstens was für die Augen. Aufwändig verzierte Borten, Silberschmuck, Silberschnallen. Angeblich kann man an den Verzierungen des Gürtels sehen, ob ein Mann verheiratet, ledig oder gerade auf der Suche ist.

Ich laufe durch das Freiluftmuseum direkt im Anschluss an das Museum. Es versammelt Kotas und jahrhundertealte Häuser, Scheunen, Werkstätten, ja sogar ein Gerichtsgebäude an einem Ort. Die Gebäude wurden aus verschiedenen Gegenden zusammengetragen und hier sorgfältig wieder aufgebaut. Ich frage mich, wie man so ein komfortables Haus nach dem Winter wieder durch ein Zelt ersetzen konnte. Auf allen Komfort verzichtete. Freiwillig?

Vermutlich hängt es mit ihrem Freiheitswillen und ihrem Drang nach Mobilität zusammen. Es hielt sie vermutlich nicht lange an einem Ort. Und dann gab es da ja auch noch die Sorge um die eigenen Herde. Auch sie sorgte wohl dafür, dass die Sami mobil blieben.


Impressionen aus dem Freiluftmuseum

 

Sápmi: Kulturelle Eigenheiten

Auch wenn Sami heute sesshaft sind, ihre Rentierherden mit Motorschlitten kontrollieren und bewachen, und keiner mehr in der Einsamkeit der lappländischen Wälder auf das Handy verzichten mag, so hat sich das Volk der Sami trotzdem eine große kulturelle Eigenständigkeit erhalten. Berühmt ist die samische Musik mit ihrem charakteristischen Gesang, dem „Joik„. Früher war der Joik-Gesang Teil des samischen Schamanentums und wurde als Heilgesang und aus spirituellen Gründen gesungen. 

Lappländisches Kunsthandwerk und auch Volkskunst genießen hohes Ansehen. Im Korundi von Rovaniemi wird solche Volkskunst im Museum gezeigt. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass es sich hierbei um Künstler ohne spezielle Ausbildung handelt. 

copyright: Tarja PrüssMythen und Musik

Mari Boine hat die Joikgesänge über die Grenzen hinaus getragen, ja vielleicht sogar weltberühmt gemacht. Heute gibt es immer mehr junge Samen, die sich auf ihre Traditionen besinnen und am Leben erhalten. Sami Popmusik hört man oft in Lappland. Für meine Ohren eine sehr beruhigende, meditative Art von Musik. 

Nicht nur in der Musik, auch in den mündlich überlieferten Sagen und Mythen geht es meist um die Natur. Wilde Rentiere, die die Welt erschaffen, die zwischen Menschen- und Tiergestalt wechseln, Wölfe und Bären, und Göttinnen. Die Sonne als Vater, die Erde als Mutter und die Lebewesen ihre Kinder. Die Grenzen zwischen Geistern, Menschen Tieren und dem Tod sind nicht fest, sondern fließend. 

Samen in Finnland – Christianisierung

Später wurden die Sami christianisiert. Aber verloren gegangen sind die „anderen“ Vorstellungen vom Entstehen der Erde, vom Wirken der Kräfte und vom Übersinnlichen deshalb nicht. Ich habe nicht nur einen Samen getroffen, der sagt, er vereint beides in sich: das Christentum und die samische Religion. Für sie sei es kein Widerspruch. Beides existiert nebeneinander.  So kann man an Gott glauben und zugleich die Naturgötter ehren. Man kann Weihnachten feiern und sich mit seinem Stamm beim Heiligen Stein im Wald treffen, ein Feuer machen und der Ahnen gedenken sowie die Geister besänftigen. Kein Widerspruch. 

Sápmi bezeichnet nicht nur das, was den Sami zum Sami macht. Es umfasst auch alles, was den Samen von anderen Menschen unterscheidet: seine Sprache, Seine Denk- und Lebensart, seine Traditionen.

Die samische Kultur ist aber trotz der Besinnung auf ihre Traditionen nicht rückwärtsgewandt. Im Gegenteil, die Samen entwickeln sogar neue Bräuche und Feste. Das samische Rentierrennen ist eine Erfindung der modernen Zeit und verbindet die jahrhundertealte Verbundenheit zum Rentier mit dem Skilaufen.  Und den Rentierherden folgen sie nicht mehr mit dem Schlitten oder auf Schiern, sondern mit Motorschlitten und Hubschrauber. Eine funktierende Symbiose aus alter Tradition und moderner Technik. 

Was für ein einzigartiger Ort

Die Kirche von Pielpajärvi ist ein ganz besonderer Ort. 1752-1760 erbaut gehört sie zu den ältesten Gebäuden in ganz Nordlappland.

Und die will ich finden, will ich sehen. Eine Kirche mitten im Wald, in der Einöde. Trotz Regen mache ich mich auf den Weg. Kilometer über Kilometer geht es durch endlose Wälder, durchsetzt mit Felsen, die verstreut zwischen den Bäumen liegen, als hätten Riesen mit Murmeln gespielt.  

copyright: Tarja Prüss

copyright: Tarja Prüss
copyright: Tarja Prüss
Der Weg geht im wahrsten Sinn des Wortes über Stock und Stein. Hier wurde kein Wanderweg angelegt. Kein einziger Mensch weit und breit. Mir begegnet niemand. Das einzige, was ich höre, sind die Regentropfen, wenn sie auf meiner Kapuze landen. Und das Klacken des Auslösers des Fotoapparates. Denn die herbstliche Stimmung in diesem stillen, unfassbar großen Wald ist einnehmend schön.

Die Kirche liegt rund zehn Kilometer von Inari entfernt, inmitten – und wenn ich sage inmitten, dann meine ich genau das! – inmitten von unbewohnter Wildnis. Einödkirche wird sie auch genannt. Sie entstand im Zuge der Christianisierung der samischen Bevölkerung Inaris. Das Winterdorf rund um die Kirche wurde irgendwann aufgegeben, als die Sami sesshaft wurden. 

Wandern im Regen oder umdrehen?

Immer wieder beschleicht mich der Gedanke umzudrehen. Warum tust du dir das eigentlich an? Hier im Regen durch den Wald zu stapfen? Schwachsinnsidee. Mausallein in diesem Wald. Doch irgendwas zieht mich dorthin. Ich will diese Kirche sehen, will sehen und spüren, ob von ihr eine besondere Stimmung ausgeht. Mittlerweile bin ich ziemlich durchnässt. Ich weiß nicht, wie weit es noch ist. Meine Laune sinkt. Ich wundere mich, warum ich niemandem begegne. Bin ich wirklich die einzige hier? 

Ich komme an kleineren Seen vorbei. Schöne Ausblicke, selbst im Regen. Aber von einer Kirche ist weiter nichts zu sehen. Hab ich mich etwa verlaufen? Ich höre einen Specht. Sonst nichts. Immer wieder geht es um Biegungen herum, kleine Anhöhen rauf und runter. Der Anblick, der Ausblick ändert sich mit jedem Schritt. Die Schuhe geben den Widerstand gegen die Nässe auf. Ich habe jetzt kalte und nasse Füße. Und Hunger. Aber irgendwas zieht mich unaufhörlich weiter. 

Zwischendurch kommt in mir die Frage auf, ob die Kirche überhaupt offen sein wird. Womöglich habe ich dann den ganzen Weg auf mich genommen, um dann vor einer verschlossenen kleinen Holzkirche im Wald zu stehen?
Ich schiebe den Gedanken fort.

Ein Lichtstreif am Horizont

Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit des Kraxelns über Felsen, Steine und unzählige Wurzeln, Flechte und Moose erblicke ich rechts vor mir ein Holzgebäude. Ein schlichter Holzbau in der Form eines griechischen Kreuzes. Mit einem Zaun drumherum.  Ich räume die Steine vor der Tür der Kirche weg und öffne sie vorsichtig. Die Fensterläden sind geschlossen. Nur durch die Tür kommt ein wenig Licht in die Kirche. Weiße Bänke, Holzboden und wieder diese Ruhe. Stille. Unfassbare Stille.

Copyright: Tarja Prüss

Um die Kirche herum befanden sich ursprünglich Kirchenstuben, in denen die weit angereisten Kirchenbesucher untergebracht wurden, ein Pfarrhaus und andere Gebäude, die allesamt nicht erhalten geblieben sind. Einen Friedhof gab es dagegen nicht, weil die Samen die Verstorbenen traditionell auf Inseln im Inarisee bestatteten. Heutzutage finden hier nur noch an Mittsommernacht und am Karsamstag Gottesdienste statt.  

Der Regen macht der Sonne Platz


Der Regen hört auf und wenige Sekunden später zeigt sich völlig unverhofft und unerwartet die Sonne. Klettert über die Bäume, hangelt sich am Dach der Kirche entlang, gleitet über die alten ausgeblichenen und verwitterten Holzbalken und lässt die Kirche in einem ganz anderen, neuen Licht erstrahlen. 
 

Die Kirche von Pielpajärvi. Inari Lappland ©Foto: Tarja Prüss | Tarjas Blog
Die Kirche von Pielpajärvi im Herbst. Inari Lappland ©Foto: Tarja Prüss | Tarjas Blog

Meine schlechte Laune, mein Missmut, meine Zweifel sind wie weggeblasen, als hätte der Regen sie mitgenommen.  Die Sonne zaubert ein Lächeln in mein Gesicht. Dieser Ort hat seinen eigenen Zauber. Die letzten Regentropfen fallen vom Dach, so laut in diese Stille hinein, dass man fast aufschreckt. Aufschreckt vor kleinen Tropfen, die in einer Pfütze Blasen bilden.  

Ich setze mich auf einen Stein und lass mich von der Sonne wärmen.

Aussicht in der Nähe der Kirche ©Foto: Tarja Prüss | Tarjas Blog
Aussicht in der Nähe der Kirche ©Foto: Tarja Prüss | Tarjas Blog

Den Gedanken an den Rückweg schiebe ich weit von mir. Staune lieber über die kleinen Blasen in den Pfützen.

copyright: tarja prüss

6 Kommentare zu „Nomaden des Nordens: Sápmi“

  1. Hey Tarja !

    Ein weiteres mal ziehe ich den Hut vor dir !
    Ich habe mich gerade ertappt und gebe zu:
    Ja ich bin gerade eben ein wenig „mitgereisen“.

    „Kilometer über Kilometer geht es durch endlose Wälder, durchsetzt mit Felsen, die verstreut zwischen den Bäumen liegen, als hätten Riesen mit Murmeln gespielt.“
    Beim lesen dieses Satzes im Zusammenspiel mit den herrlichen ruhigen Bildern schoss es mir durch den Kopf : Ich an deiner Stelle würde mir echt überlegen das in Buchform rauszubringen !
    P.s. Deine Reise ist noch lange nicht zu Ende !
    Alles Liebe
    Roland

  2. liebe tarja,
    habe gerade die wunderbare samengeschichte und deine erzählung von deiner wanderung vita und hanayo vorgelesen, und wie Du mich kennst immer Verständnisfragen eingebaut. (und sogar gejoikt!)

    Vita: ich fand die Geschichte schön! (Samen sind so kleine Dinger von Blumen)
    Hanayo: mama lies weiter, die geschichte ist gerade so spannend (nomaden sind menschen aus noma)
    Jaana: beschreibungen in Poesie die eine breitere Publikation verdienen!

  3. Oh! Herrlich! So schön beschrieben!
    Das Gefühl, das man in der absoluten Stille – oder eher menschenlosen Stille – hat kann nur so richtig nachvollziehen, wenn man es selbst erlebt hat.

    So schön!

  4. Pingback: Lappland: Johanna und ihre Rentiere - auf der Rentierfarm | tarjasblog.de

  5. Pingback: Finnische Musik: Tuuletar, die Windgöttinnen | tarjasblog.de

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