Tarja an der Kamera im Sonnenuntergang

Der kurze Moment der Ungewissheit

Auf dem Heimweg zog es mich plötzlich, zog an mir wie ein kleines Kind, das einem unbedingt etwas zeigen möchte, zog an mir und liess mich nicht mehr los. Es gab keinen ersichtlichen Grund, Gegenwehr zu leisten. Also ließ ich mich mitziehen, fortziehen, wegziehen, treiben.

Der Himmel wechselte die Farben, jede Minute, die Wolken zogen schnell, als hätten sie es furchtbar eilig, und kühl war es geworden, wie an einem Novembermorgen, wenn sich der Nebel langsam zum See runter zurückzieht, die Luft aber noch feucht und klamm ist.

Sonnenuntergang am Bodensee

Sonnuntergang: Strahlen stehlen sich hinter Wolken vor (Copyright: Tarja Prüss)

Ich wusste nicht, wohin es geht. Die Sonne zeigte sich gar nicht und mir doch den Weg. Nur einzelne Strahlen stahlen sich heimlich an den dichten Wolken vorbei, drückten sie für einen kurzen Moment beiseite und zeigten ihre langen geraden Linien. Sichtbares Licht.Immer mehr Rot mischte sich in den Himmel, der mit seinen grauen Wolken grummelig wirkte und nur zögerlich das Rot annahm, das ihm die Sonne so freigiebig anbot. Sonnenuntergang am See.

Meinen Heimweg hatte ich längst verlassen. Andere Straßen sind plötzlich verlockender, laden mich ein, ihnen zu folgen. Schließlich lande ich auf einem Platz, an dem ich vor fast genau vier Jahren schon mal stand. In allergrößter Not, erfüllt von großer Angst, Ohnmacht und Verzweiflung.

Momente: Ruhe und Frieden

Sonnenuntergang am Bodensee: glutroter Himmel (copyright: Tarja Prüss)

Heute, wieder an diesem Platz, verspüre ich keine dieser Gefühle. Sie sind nicht mehr da. Gewichen einer schmerzhaften Gewissheit. Das frischgeschnittene Gras riecht nach intensivem Grün, nach dem herannahenden Sommer. Die Vögel überbieten sich gegenseitig, wer das schönste Abendlied zu singen weiß. Wieder an diesem Platz. Ein Platz, der Ruhe und Frieden ausstrahlt. Der seine Ruhe an einem hochkriechen und einsickern lässt. Wieder an diesem Platz. Und doch ganz anders.

Momente der Gewissheit

Die schmerzhafte Gewissheit der Vergänglichkeit. Die Blüten, die alle Bäume um mich herum so verschwenderisch blühen lassen und dann einfach abwerfen, als wären sie nicht wunderschön. Der Himmel, der verschwenderisch sein Farbenspiel zeigt, verschwenderisch immer neue Wolkenformationen ausprobiert, sich knapp über dem Horizont verschwenderisch blutrot verfärbt. Die Sonne, die zögerlich unter der Wolkendecke hervorlinst, um in all dem Rot die Perfektion des Kreises darzulegen und noch ein letztes Mal, bevor die Nacht das Regiment übernimmt, verschwenderisch Helligkeit zu verstreuen.

Als der Tag sich davonstiehlt, die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, das Licht immer schwächer, die Vögel leiser, die Kühle immer aufdringlicher wird, verlasse ich diesen Platz wieder. Zögerlich und mit der Gewissheit: Gewissheit ist nicht immer von Vorteil.

Sonnenuntergang am Bodensee: glutroter Himmel (copyright: Tarja Prüss)

2 Kommentare zu „Der kurze Moment der Ungewissheit“

  1. ich lächle Dir meine Tränen entgegen und freue mich über den Wandel … wandeln wir doch alle auf diesem Erdball – als wandelnde Gärten …
    Blühe und strahle kleine Schwester, das Leben ist kostbar und schön mit all seinen Farben, auch den dunklen … Genieße und lebe Deine Leidenschaften …
    LIEBE auf Deinen Wegen …

    1. Ein wunderschöner, rührender Kommentar zu einem tief ergreifenden Beitrag von Tarja.
      Voller Schwesternliebe und Zuversicht!

      Schade übrigens, dass ich der Vorstellung deines neuen Buches
      „fair – handeln“ (auf der „fair-cycle Messe“ in MUC) nicht beiwohnen konnte.
      Habe den Termin zu spät entdeckt, das Buch werde ich aber erstehen, frei nach dem Motto:
      „Immer neugierig bleiben und Denkanstöße dankbar annehmen.“

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