balaton-abendrot Ungarn ©Foto: Tarja Prüss

Der Akkusativ oder warum es lebensgefährlich sein kann…

Heute ist ein besonderer Tag – deshalb soll hier auch eine ganz besondere Geschichte erscheinen. Von einem, der die Magie der Worte besaß – und mein Leben unendlich reich gemacht hat.

Noch eine kurze Anmerkung: Finnisch und Ungarisch sind verwandte Sprachen und die Tücken für Nicht-Muttersprachler liegen in denselben Eigenheiten dieser Grammatik, die  es einem mit ihren Windungen und Ausnahmen nicht gerade leicht macht, sie zu entschlüsseln.

Akkusativ

oder 

Warum es lebensgefährlich sein kann, Ungarisch zu lernen…….

– von Pit Burger –

Es war einer jener Sommertage am Balaton, die einen Mühsal und Kummer vergessen lassen können. Sonnenstrahlen leuchten durch das Dach der Bäume im Garten in Akkaratja. Zeit ist relativ. Nun gut, es gibt immer ein Ankommen und ein Abreisen. Eher unbedeutende Augenblicke für den See mit der Magie seines Lichts und seiner Ausstrahlung.

Familie, ungarische Familie. Das bedeutet Freude aneinander, am Miteinander. Schon nach nicht einmal einem Tag ist es kaum vorstellbar, dass Zeitmesser eine Bedeutung haben könnten.

Die Grillen zirpen und zur richtigen Jahreszeit duften die Akazien, Apfelbäume, vermischen ihren Duft mit dem der Feuchtigkeit des Sees und dem unnachahmlichen Odeur ungarischen Essens zu einem einmalig gewürzten Gebräu voller Leidenschaft und Genuss.

Balaton sunset mini

Die ungarische Sprache ist völlig unbegreifbar für den Anfänger, voller Wärme für den, der sie hören, verstehen und auch sprechen kann, und ein Gang nach Canossa für denjenigen, der sie nach vielen Jahren zwar hört und spricht, nur teilweise versteht, einiges erahnt und gleichzeitig hoffen muss, dass seine Schwäche als „charmant“ durchgeht.

Zur letzten Gattung gehöre ich.

Wie dem auch sei, besser spät als nie, mache ich mich in diesem Sommer 2009 auf ins Labyrinth der Ausnahmen, der Ausnahme von den Ausnahmen, der feststehenden Redewendungungen. Wieder Mal. Ein Pokerspiel der Konjugationen und Deklinationen, eine abenteuerliche Reise ins unentdeckte Land.

Welch ein Segen Touristen zu beobachten, die überhaupt nichts verstehen. Balsam für die eigene geschundene Seele, die durch das Schicksal gezwungen wurde, Deutsch als Muttersprache zu sprechen.

Dabei war die Mutter Ungarin. Welch Ironie, wenn das eigene Herz im ungarischen Rhythmus schlägt.

Es war einer jener Sommertage mit Peter, dem Don, dem Kamasutrameister, Eva, der absolut und definitiv weltbesten Köchin, kunstverständig und feinsinnig, den wunderbaren Brigitta und Bela mi ihren Kindern Oliver und natürlich Nadine, die eigentlich Greta heisst oder umgekehrt. Und meiner wundervollen Tarja, die sprachlich gesehen, im Stande der Unschuld ist. Jedes ihrer ungarischen Worte wird mit Freude und Beifall quittiert, ich werde korrigiert.

Die Sonnenstrahlen taten genau das, was jeder von ihnen wie selbstverständlich erwartete. Leuchten und dabei meine Sprachversuche in ein milde scheinendes Licht tauchen.  Bela war es, der  sich erbarmte und versuchte, mich in die Mystik des ungarischen Akkusativ einzuführen. Und der Mann hatte Durchhaltevermögen. Der hatte sich, wie übrigens auch alle anderen, was vorgenommen.

Akkusativ, das heisst, das „t“ am Ende des Wortes deutet unmissverständlich ein „wen oder was“ an. Somit wird das „t“ – und ich befürchte, es gibt da noch andere Konsonanten, über die ich aber jetzt den Mantel der Liebe und des Verständnisses decken möchte – zum Merkmal des Falles, der mein Fall wurde.

Nehmen wir einfach das deutsche Wort, das auch im Akkusativ unverändert bleibt. Im Ungarischen leider nicht. Da heisst es dann „ Ich hätte gerne das Brot-t“.

Zum besseren Verständnis des Folgenden sei noch kurz eine nahezu unbedeutende Eigenart des gelben ungarischen Spitzpaprikas erwähnt. Der eine, süss und saftig, der andere, scheinheilig, sich tarnend danebenliegend,  scharf wie ein Messer. Das Spannende daran, sie sind nicht immer visuell zu unterscheiden. Ungarisches Roulett. Da müssen sich sogar die Russen warm anziehen. Keiner weiss so recht, in welcher Kammer die Patrone ist beim Abdrücken oder Kauen. Ich denke, Sie wissen, was ich meine.

Hatte ich eigentlich das Leuchten der Sonnenstrahlen schon erwähnt? Ich glaube ja. Jedenfalls unter diesen Sonnenstrahlen auf der Terrasse beim Essen sitzen, miteinander Lachen und Reden.

Was für ein wunderbarer Tag.

balaton glitzern mini

Es war nur ein kleiner unbedeutender Bissen, ein Nichts geradezu, ein nicht erwähnenswertes Stück Paprika, das ich in den Mund schob und feststellte:

Es stellt sich keine Süsse ein…..und dann wusste ich es.

Vor allen anderen. Die ich übrigens kaum mehr sehen konnte. Wie auch, wenn einem die Tränen über das Gesicht laufen, die Stimmbänder sofort beleidigt sind und in den Wortstreik treten.

Ich muss was tun, ganz schnell, bevor ich einem rauchenden Nachbarn zwei Grundstücke weiter Feuer gebe….

Wasser? Nein, das ist schlecht, verstärkt es doch nur das Brennen, den Schmerz. Brot, fällt mir ein, ja das ist es. Brot kann einem die Schärfe nehmen. Nicht gleich, aber immerhin. Mit letzter Kraft und den Tränen kämpfend,  formuliere ich schlampig und schnell, dass ich gerne Brot hätte. Bela nimmt den Korb, reicht ihn mir nicht ……zögert mit einem Lächeln und sagt: „Akkusativ“!

Einen Augenblick lang kann  ich Held mich nicht entscheiden. Töten oder getötet werden? Oder einfach um Brot flehen……..

Das Lachen dauerte noch lange an……Die Geschichte wurde wieder und wieder erzählt. Nicht zuletzt auch von mir. Die ungarische Schärfe allerdings kann einem ein wunderbares Gefühl vermitteln. Den Moment nämlich, wenn der Schmerz langsam nachlässt….

Um eines klarzustellen und endlich mit einem Mythos aufzuräumen.

Sie haben Attila, den ungarischen Vorfahren, den Erden-Eroberer genannt, die Bestie, das mordende Ungeheuer, ganz Europa hat vor ihm gezittert, am meisten die Römer…..

Das mag alles richtig sein.

Nur eines, glauben Sie mir, ist geradezu lächerlich.

Man nannte ihn die Geißel Gottes.

Ich weiss es besser, denn ich weiss, die wirkliche Geißel Gottes ist der ungarische Akkusativ …….

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1 Kommentar zu „Der Akkusativ oder warum es lebensgefährlich sein kann…“

  1. Du hast den besten Tag gewählt für den Akkusativ!
    förmlich hört man seine Stimme, sein Lachen und seine Liebe-volle Art, die zwischen den Zeilen mit Humor und Lebensfreude tanzt …

    vielen Dank, Kiitos, Köszönöm!

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