Zitronenfaltertango. Von Mayjia Gille. Foto: T.Prüss

Mayjia Gille: Zitronenfaltertango

Mayjia Gille ist eine vielfältige Künstlerin. Was uns zusammenbrachte, ist die Sehnsucht nach Finnland. Ihr neues Gedichtband „Zitronenfaltertango“ ist dem Volk der Sami gewidmet. Grund genug, Mayjias Gedichte lesen zu wollen und mit ihr darüber zu sprechen.

Dein neuer Gedichtband „Zitronenfaltertango“ – Vagabundengedichte ist gerade im Gans-Verlag erschienen. Kannst du uns kurz erzählen, wie er entstanden ist?

Es ist mein vierter Gedichtband innerhalb von zehn Jahren, und es hätte gut mein achter sein können, da ich ja ständig schreibe. Aber so viele Gedichte verträgt weder der Markt noch die Welt… Zwischen 2015 und 2025 habe ich Gedichte für einige Anthologien und Literaturzeitschriften geschrieben, Roman und Kurzgeschichten veröffentlicht, und mich für Preise beworben und für diese auch jedes Mal neu Gedichte oder Prosa geschrieben. Es war also eher eine logische Folge, dass von den vielen Gedichten, die in meinen Manuskripten liegen, endlich wieder welche „an die Luft“ dürfen. Dank des neuen Verlages und der Bereitschaft des Verlegers, durfte ich das also längst fällige Lyrik Buch nun veröffentlichen. 

Viele Dichter:innen sprechen davon, dass Gedichte sie eher „finden“ als umgekehrt. Wie ist das bei dir?

Das ist wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Ich bin ganz klar auf der Seite vieler Wissenschaftler, dass das Ei zuerst da war. Eine Frage nach dem Gedicht bin ich mir da allerdings nicht so sicher.;) 

Welche Rolle spielen Form, Rhythmus und Klang in deinem Schreiben – eher intuitiv oder bewusst gestaltet?

ich befasse mich als Dichterin und als Musikerin und als Sprecherin und Schauspielerin permanent mit Form, Rhythmus und Klang, das Zusammenspiel von Füße und Psyche, von Atem, Stimme und Körper. Ein bestimmtes Wissen zu üben, zu trainieren, ausprobieren, experimentieren und können, ist notwendig, um sich davon wiederum lösen zu können und später auch intuitiv zu handeln. Für mich ist Intuition auch gekoppelt an ein bestimmtes Vorwissen. Wenn man sich mit Dichtung befasst, ist man ja nicht mehr komplett naiv oder rein intuitiv. Die Intuition ändert sich auch mit der Erfahrung.

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Ostsee. Foto: Mayjia Gille/Privat

Welche Themen durchziehen den neuen Gedichtband Zitronenfaltertango? Wo ist der rote Faden?

Der Titel heißt „Zitronenfalter Tango – Vagabunden Gedichte.“ damit meine ich die Bewegung des Lebens, der Liebe und des unterwegs sein. Ich bin ein Vagabund in meinem Geist und in meinem Körper ständig auf der Reise. Aber in alldem nehme ich mich mit und fliehe nicht vor mir oder meinen Umständen es ist alles immer auch dort, wo ich bin. Meine innere Heimat ist in mir verwurzelt deshalb ist mir auch alles im außen Heimat, wo ich mich mit Sprache, Menschen und Lebensweise verbunden fühle. die Gedichte machen die Zwischenräume deutlich in Beziehungen, in der Kommunikation unter den Menschen und auch in der Begegnung mit Gott oder mit dem transzendental. Ohne die vertikale ist menschliche Kommunikation menschliches sein in aller Hoffnung, in allem Anfang und auch allem Leid gar nicht denkbar für mich. in diesem staunen über scheinbare Belanglosigkeiten möchte ich Dinge ehren, die allgemein in dieser Zeit eher keinen Raum haben, oder keine Beachtung finden. Aber ich betrachte es so, wie Rilke es sagte: „nichts ist mir zu klein, und ich liebe es trotzdem und mal es auf Goldgrund und groß und halte es hoch und ich weiß nicht wem?  löst es die Seele los…“ Für manche mag das pathetisch klingen, aber es ist eigentlich ganz schlicht, und ich begreife es als Liebesauftrag, die Dinge so zu sehen. Ich bin gerührt von Kleinigkeiten von Gesten, von scheinbar schlichter Natur, und eben von dem, was wir uns oft nicht laut sagen. Das möchte ich durch die Gedichte sichtbar machen. wichtig ist für mich das letzte Stück in diesem tollen Vers von Rainer Maria Rilke: und ich weiß nicht wem löst es die Seele los. Es ist nicht wichtig, für ein Publikum zu schreiben, was man angeblich vor sich sieht. Man muss nichts manipulieren, denn wem auch immer es die Seele los löst, beim staunen und begreifen, hat man sowieso gar nicht „in der Hand.“ meine Aufgabe als Dichter ist es, die kleinen Dinge auf Goldgrund groß zu machen. Ich kann es leider nicht besser sagen, der Herr Rilke hat alles gesagt.;) 

Finnland spielt immer wieder eine Rolle in deinen Gedichten. Inspiriert Finnland besonders? Oder anders? Wie würdest du den „finnischen Aspekt“ des Gedichtbandes beschreiben?

Mich persönlich inspiriert im Sinne von „begeistert“, das Land Finnland auf jeden Fall. Kein anderes Land hat mir bisher so viel Raum gegeben und mich gleichzeitig mit einer Gemeinschaft empfangen, die ich nur als Heimat bezeichnen kann. Ich habe auch selten ein Land bereist oder in ihm gewohnt, was so viel Kunst und Kultur regelrecht pflegt, aufsaugt und gleichzeitig das Miteinander das gemeinsame Wohl in den Mittelpunkt stellt – und das vom Kind bis zum Greis. Der „finnische Aspekt“ des Gedicht Bandes ist, dass ich besonders in die Rolle der „Minderheiten“ in Finnland geschlüpft bin, der Sami, aus deren Augenwinkel heraus ich ihrer Leidenschaft, ihren Lebensumständen, aber auch ihre Not dem materialistischen vernichtenden Zeitgeist nicht entkommen zu können,
eine Stimme geben wollte. Deshalb ist der „Zitronenfaltertango“ auch dem Volk der Sami in Lappland gewidmet (und meiner Tochter und meinen Freunden). Ich fühle Hilflosigkeit, wenn ich sehe, wie die Papierindustrie ohne Erlaubnis und Rücksprache dem Ur Volk die Lebensbasis entzieht. Und das ist schon ein Dilemma, denn das Land, Finnland, was ich liebe, ist auch höchst involviert in die Abholzung der Wälder in Lappland. 
Wenigstens mental wollte ich auf der Sami Seite sein, und ihre Not in meine Sprache einbauen, neue Palme schreiben. Als Lyrikerin mische ich mich nicht gerne in politische Dinge ein. Aber hier geht es nicht nur um irgendeine Politik, sondern um Unterstützung und Rückendeckung einer Minderheit, die absolut friedliebend lebt. 
Die Abholzung ist wie auch in anderen Erdteilen der Welt ein hausgemachter Wahnsinn einer materialistischen Entwicklung, die nur auf eigenen Mehr- Gewinn aus ist. Für mich ist es auch ein Sinnbild unsere Zeit in der Eigenwilligkeit und Ursprünglichkeit in den Persönlichkeiten trotz der propagierten Diversität, minimiert werden. Echte Eigenart entwickelt sich nie in der Masse, sondern dann, wenn man durch  Konflikte und Einsamkeiten gegangen ist, durch die Kommunikation in der vertikalen und horizontalen, bringt unbedingten eigenen Standpunkt und innere Haltung hervor und ist für den Industrienationen – Konsum gefährlich, weil sie wieder ständig ist. 
So etwas fördert man in Kindern oder Jugendlichen oder in der Kunst nicht wirklich gern in dieser Zeit. Die Masse lässt sich immer noch ganz gut lenken und wird viel dazu beitragen, dem Fortschritt und dem Gewinn zu dienen, anstatt der Gemeinschaft.

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Foto: Mayjia Gille/Privat

Wie viel von dir selbst steckt in diesen Gedichten?

Da ich die Gedichte selbst geschrieben habe, denke ich mal alles. 100 %. Aber im Sinne, ob ich es immer bin, klares Nein, denn es gibt ein lyrisches ich in den Gedichten.

Gibt es ein Gedicht im Band, das dir besonders nahe ist – und warum?

Da würde ich das wohl schlichteste Gedicht in dem Band nennen, das war mein erstes finnisches Gedicht, und es ist auf Seite 77 zu finden, was eine besondere Bedeutung hat. Sieben ist die vollkommene Vollständigkeit. Das Gegenteil von Perfektion. Die sieben bedeutet für mich, dass alles da ist. Und das ist eben eine Doppel sieben 😉 Ich habe selbst auf Finnisch geschrieben und dann ins Deutsche übersetzt. Das Gedicht heisst „olen kotona“ und ich habe es als Hymne der Sami formuliert. Denn in ihrer Friedfertigkeit sind Sie für mich beispielhaft als Volk. Und in diesem Gedicht drücke ich es eben mit poetischen Worten aus. 

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Für wen schreibst du? Denkst du beim Schreiben an eine Leserschaft oder bleibt es zunächst ein sehr persönlicher Prozess?

An eine Leserschaft kann ich gar nicht denken, weil ich sie nicht kenne. Ich denke sehr konzentriert in einem Dialog mit den Dingen, über die ich schreibe, oder an die Menschen, über die ich schreibe. Ich bin voll und ganz in der Szene. Ich bin voll und ganz in dem Dialog. Es ist immer ein innerer Dialog. Entweder mit dem Baum, dem Schnee, dem Himmel, Gott, den Menschen, dem liebsten, dem Kind oder mit der Einsamkeit, mit mir selbst.

Welche Dichter:innen oder Künstler:innen haben dich geprägt?

Nun ja, Rainer Maria Rilke, wurde mir schon als Jugendliche zum Seelsorger und ich habe so gut wie alles vertilgt, was er geschrieben hat. Er hat mich auf jeden Fall geprägt, so wie Brecht, Ringelnatz, Fauser, Wolkenstein, Marina Iwanowna Zwetajewa, Boris Pasternak, Tolstoi und Dostojewski, Heinrich Böll, Remarque, Schiller, Tschechow, Boal und Stanislawski und alle Theaterlehrende, aber auch Pentti Saarikoski, Alexis Kiwi, alle Autoren der Bibel, genauso wie zeitgenössische Autoren, mit denen ich auch befreundet bin, die mich durch ihre gute Kritik und durch den Austausch mit Ihnen natürlich auch geprägt haben. Prägung kommt aber nicht nur von einer Seite, sondern kam bei mir auch sehr stark durch bildende 
Künste und Tänzer.., immer wo etwas zutiefst eigenwilliges, tiefgründiges, gut erarbeitetes, wunderbar formuliertes war oder ich eine neue Sprache entdeckte, einen neuen Denkansatz fand oder eine überbordende Liebe spürte, hat es mich geprägt: wo ich mein Leben wirklich ändern musste, weil ich einen Satz gelesen hatte, der alles gesprengt hat, was ich bisher glaubte. ich denke am stärksten war für mich der Einfluss von eben Rilke, und vor allem die russischen und polnischen Schriftsteller, die regelrecht sich auf wortgewaltig fabelhafte Weise die Dinge des Lebens errungen haben, regelrecht abgerungen haben. Das prägt auf jeden Fall. Was im Endeeffekt meine Literatur sichtbar prägt, das ist hoffentlich nicht mehr sichtbar, denn davon versucht man, sich zu befreien, um eine eigene Sprache zu finden, einen eigenen Sound zu entwickeln.
Prägung passiert ja meistens in der adulten Phase bis hin ins jungenerwachsensein. Danach ist es das Leben selbst. Ich glaub das hat mich am meisten geprägt und das ist auch in meinen Gedichten zu finden.

Wie beeinflusst die aktuelle Zeit – gesellschaftlich, politisch, klimatisch – deine Lyrik?

Ich thematisiere den Übergriff  derer, die Ursprünglichkeit vernichten, oder kopieren oder ausschlachten und okkupieren möchten, weil ihnen selber nichts einfällt, um am Leben zu bleiben. So wie der Wald in Lappland abgeholzt wird und das Volk der Sami sich, weil sie so friedfertig in ihrer Lebenshaltung sind, eigentlich gar nicht verteidigen können, sondern es hinnehmen müssen. In so einer Welt wird man müde sich politisch zu äußern, oder beeinflusst zu werden von gesellschaftlichen Dingen, die sich in einem Augenblick ändern und man weiß noch nicht, wohin, weil die Gesellschaften selbst verwirrt und verwickelt sind in Beeinflussung. 
Ich betrachte es als Aufgabe der Kunst, also auch der Lyrik, sich davon ab zu, sondern in gewisser Weise trotzdem mittendrin zu sein, aber unbeeinflusst. Und zwar mit Absicht. 

Interview mit Mayjia Gille. Über ihren neuen Gedichtband "Zitronenfaltertango", erschienen im Gans-Verlag.
Mayjia Gille. Foto: Privat

Wenn dein Gedichtband eine einzige Botschaft hätte, welche wäre das?

Mein Gedichtband hat auf jeden Fall die Botschaft: spielerisch zu bleiben, wie der Zitronenfalter, lichtdurchflutet zu sein, wenn es grau um dich herum wird, zu tanzen, wenn alles starr wird, und weiterzureisen, bevor es dich gefangen nimmt.

Über Mayjia Gille

Schriftstellerin, Singer-Songwriterin, Malerin. Die Künstlerin erhielt mehrere Stipendien und Artistaufenthalte vorwiegend in Finnland. Seit 2009 widmet sie sich der Aufführung eigener Bühnenstücken über Rainer Maria Rilke und seit 2024 dem Coming-of- age- Stück „Born im Niemandsland“. Seit 2017 ist Gille Gastdozentin für interpersonale Kommunikation, Stagecoach und Sprecherin. Gille stand 2022 auf der Shortshortlist des Münchner Lyrikpreises erhielt 2024 den Lyrikpreis des Nürnberger »Pegnesischen Blumenorden«. Gille veröffentlichte bisher Roman „Landgang“, Shortstorys, Gedichte in Literaturzeitschriften, wie Ostraghege und in mehreren Anthologien. Gille publizierte vier Gedichtbände: »Seit Tagen warte ich in den Sarottihöfen« (2016), »Kurznachricht um acht« (2019) und »Trompeter auf der Landebahn« (2022),„Zitronenfaltertango“ (2025 Gans Verlag Berlin).

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