Finnland: seltsam finster

Sonnenaufgang heute: 9.22 Uhr.
Sonnenuntergang heute: 14.46 Uhr.
Nicht mal 5,5 Stunden Sonnenlicht. Wenn sie denn scheint. Wenns bedeckt ist, nicht mal das. Dann wirds gar nicht hell. Alles düster. Und das hat Folgen….

Dunkelheit in Finnland (copyright: Tarja Prüss)
Dunkelheit in Finnland

Die Dunkelheit ist anders als bei uns. Hat eine andere Qualität. Sie ist intensiver, schärfer, unheimlicher. Und unnachgiebig. Sie ist nicht dunkel. Sie ist finster. Stockfinster. Und das bereits am Nachmittag. Einen Mann – nur einen halben Meter vor einem – würde man nicht sehen.

Dunkelheit in Finnland: lange Schatten wirft die Mittagssonne (copyright: Tarja Prüss)
Mittagssonne


Die Mittagssonne steht knapp über dem Horizont. Sie schafft es kaum über die Baumkronen.

Die Schatten sind ewig lang. Um kurz nach zwei beginnt das Abendrot. Strange. Ist es aber bedeckt, bleibt es den ganzen Tag düster.

Dunkelheit in Finnland: Sonnenuntergang um 3 Uhr nachmittags (copyright: Tarja Prüss)
Sonnenuntergang um 3




Dann breitet sich die Finsternis aus.
Schleichend, lautlos,unentrinnbar.
Wie eine klebrige vom Himmel herabgleitende Flüssigkeit oder ein schwerer dicker Schleier legt sich die Dunkelheit über alles, senkt sich herab, jeden Nachmittag und schluckt unseren Blick, unsere Weitsicht, unsere Perspektive, unser Licht. Am späten Nachmittag reichen die normalen Autoscheinwerfer kaum mehr aus. Viele haben zusätzliche Scheinwerfer am Auto. Es ist, als ob die Finsternis jegliches Licht aufsaugt, absorbiert, auslöscht.

 Dunkelheit in Finnland: dickes, sattes Schwarz

Sämtliche Konturen, Farben, Formen, Strukturen verschwinden. Die Bäume werden eins mit dem Himmel, Fluß und Ufer verbinden sich miteinander zu einem satten schwarz, nichts unterscheidet sich mehr, es ist wie eine einzige schwarze Wand. Es gibt kein grau, kein mittelgrau, kein dunkelgrau. Nur sattes, einzigartiges, dickes, fettes schwarz. Eine dicht verwobene Dunkelheit. 
Fußgänger tragen Reflektoren, Leuchtstreifen, elektronische Blinker oder gleich eine Leuchtweste. Das ist gut so. Man würde sie sonst glatt überfahren. Denn sie laufen auf der Straße. Gehwege gibt es nur in den Zentren. Für Hunde gibt es Halsbänder mit bunten LED-Lämpchen.

Dunkelheit in Finnland: Der Mond um halb fünf in Oulu, Finnland (copyright: Tarja Prüss)
Der Mond um halb fünf

Kein Wunder, dass alle sich fragen, wo denn ENDLICH bitteschön der Schnee bleibt. Durch seine Reflexionen würde alles ein bisschen heller wirken. Und erträglicher – für viele.


Die Finsternis kann müde, schlapp, lustlos machen. Der Blickwinkel, das Lebensgefühl wird enger, düsterer, melancholischer. Als ob die Finsternis zum Überleben nicht nur das Licht, sondern auch die Freude, das Helle und Heitere in unserem Leben aufsaugt, auffrisst.

Dunkelheit in Finnland: Papierfabrik in Oulu, Finnland (copyright: Tarja Prüss)
Oulu um vier

 Dunkelheit in Finnland: Gegenmittel

Damit das Land aber nicht kollektiv in eine Volksdepression verfällt, gibts in jedem Supermarkt „Sonnen-Tabletten“  Vitamin D. Sogar mit Vitamin D angereicherte Milch wird angeboten.

Dafür gibt es in klaren Nächten einen einen prall gefüllten Sternenhimmel! Und ohne Dunkelheit auch keine Polarlichter!

Und zur Aufhellung gibt das VALOA OULU-Festival. Dazu bald mehr… 🙂

Die Nacht wächst wie eine schwarze Stadt 

Die Nacht wächst wie eine schwarze Stadt,

wo nach stummen Gesetzen
sich die Gassen mit Gassen vernetzen
und sich Plätze füllen zu Plätzen,
und die bald an die tausend Türme hat.
Aber die Häuser der schwarzen Stadt,
du weißt nicht, wer darin siedelt.
In ihrer Gärten schweigendem Glanz
reihen sich reigende Träume zum Tanz,
und du weißt nicht, wer ihnen fiedelt…


Rainer Maria Rilke, 6.2.1898

2 Kommentare zu „Finnland: seltsam finster“

  1. Ein gespenstisches Szenario, wie das Gedicht von Rilke.
    Erinnert mich an die Sofi vom 11.08.1999, es war zwar genügend Licht, die Geräusche
    erstummten aber plötzlich.
    Kein Summen von Bienen, kein Vogelgesang – Totenstille.
    Der Spuk dauerte gottlob nur wenige Minuten.

    Das Video erinnert an Doktor Murkes gesammeltes Schweigen……..
    Auch an Dieter Hildebrandt, der in der Verfilmung der Kurzgeschichte von Böll
    den Dr. Murke spielte.

    Es kann nur noch wenige Tage dauern, dann fällt reichlich Schnee.
    Die Gemüter hellen sich wieder auf, alle kehren zurück zur Normalität.

  2. …Kuhnacht oder kuhdunkel, sagt man hier im Schwabenland zu solcher Schwärze… Was Kühe damit zu tun haben, bleibt offen, aber vielleicht sehen sie im Dunkeln schlicht nichts und glauben, es wäre schwärzeste Nacht? Oder der Mensch legt ihnen das ‚in den Mund’…
    Wie dem auch sei; hier in D gibt es solche Schwärze nicht, wir sind einfach zu viele Menschen auf zu wenigen Quadratmetern, sodass immer irgendwo ein Lichtlein zu sehen ist. Solche Schwärze kenne ich nur noch aus der Wüste, z. B. in Ägypten oder im Death Valley. Dort waren auch die Lichtkegel der Autoscheinwerfer irgendwie kürzer als bei uns. Wie sich das Auge bzw. das Gehirn doch täuschen lässt…

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