Tarja Prüss
Sie kamen mit Booten zur Kirche am Sonntag. Aus allen Richtungen. Nahmen lange Wege auch im Winter in Kauf, mit dem Schlitten oder den Skiern, um am Gottesdienst teilzunehmen. Und eines Tages: da sprangen in der Kirche die Knöpfe von den Blusen.
Gottesdienst, das war damals das, was für uns heute Radio, Fernsehen, Zeitung und Internet ist: Nachrichtenzentrale, Verkündungsorgan, Austausch von Klatsch und Tratsch. Hier erfuhr man alles, was in den vergangenen Wochen passiert war. Wer geboren und gestorben war, wer geheiratet hatte oder weggezogen war. Zugleich war es Treffpunkt für Nachbarn, Freunde, Verwandte, die sich sonst wochen- oder monatelang nicht sehen konnten, weil sie zu weit verstreut lebten – getrennt durch Seen und Wälder.
Wie das Leben hier wohl vor 200 Jahren war?
Es war ein hartes, ein karges Leben. Ohne große Abwechslung. Dafür mit viel Arbeit verbunden. Schwere, körperliche Arbeit. Und nicht in jedem Jahr gab es eine gute Ernte, die einem über den langen Winter half.
Die Kirche gehört zum UNESCO Weltkulturerbe. Bis heute gibt es kein Licht und keine Heizung. Eine erhabene Holzkirche mit einem Kirchhof, auf dem die Gräber im Schnee versinken. Stumme Metallkreuze, die von der langen Vergangenheit des Ortes zeugen. Überbleibsel aus einer anderen Zeit.
Generationen an Tränen und Lachen
Es ist bitterkalt in der Kirche, unser Atem produziert kleine Wölkchen. Noch immer riecht es nach Holz. Altes, verwittertes Holz, die Farbe nach vielen Sommern und Wintern ausgebleicht.
Unsere Schneeschuhe haben wir vor der Kirche an den Treppen abgeklopft. Die Tür ist schwer und fällt geräuschvoll ins Schloss. Ihr Holz ist von den vielen Sommersonnen ganz dunkel, an manchen Stellen tiefschwarz. Als hätte es jemand angekokelt. Dann wird es still um uns herum. Als würden die Holzwände jedes Geräusch schlucken oder in sich aufnehmen. Wie viele Gesänge diese Wände wohl schon gehört haben? Wie viele Klagen? Wie viel Lachen?
Irgendwie ein heiliger Ort. Der schon so viele Generationen an Menschen gesehen hat. So viele Menschen zusammengeführt hat. Zum gemeinsamem Gebet. Zum gemeinsamen Singen. Zum gemeinsamen Trauern. Um sich Gott näher zu fühlen.
Doch es herrschten strenge Sitten damals: wer sich im Gottesdienst nicht benahm, wurde mit einem langen Stock darauf aufmerksam gemacht. So lang, dass man bequem vom Gang aus jeden Besucher in jeder Kirchenbank erreichen konnte. Wer schwere Verfehlungen begangen hatte, kam ich eine Art mobile Treppe. Musste im Gang – von Jedermann sichtbar – kniend auf den harten Holzbalken ausharren. Wurde manches Mal angespuckt.
Wie groß muss die Scham gewesen sein, frage ich mich.
Können wir uns heute kaum mehr vorstellen, aber muss wohl wirkungsvoll, insbesondere abschreckend gewesen sein.
Die Kirche von Petäjävesi ist eine von sieben UNESCO-Welterbestätten in Finnland. Sechs beziehen sich auf das kulturelle Erbe, eine auf besondere landschaftliche Gegebenheiten.
Die alte Kirche von Petäjävesi
Die Kirche von Petäjävesi wurde zwischen 1763 und 1765 erbaut. Die alte Kirche von 1724, die am selben Ort stand, war zu klein geworden für die 700 Einwohner, die hier damals lebten.
Eine Kirche übrigens, die ohne Genehmigung gebaut wurde, erzählt mir Annika Nyström an einem kalten, aber sonnigen Wintertag. Erst vier Jahre später erteilte der König von Schweden seine Erlaubnis.
Und so begann man im Sommer 1763 mit dem Bau der lutherischen Holzkirche mit Schindeldach, ohne auf die finanziellen Sicherheiten des Königshauses zurückgreifen zu können. Die Bauern in der Region spendeten Holz und Stein, andere gaben Geld. Und damit wurde der Grundstein für die Kirche gelegt. Der erste professionelle Kirchenbauer des Landes Jaakko Leppänen legte los und sein Enkel vollendete schließlich sein Werk, in dem er 1821 den freistehenden Glockenturm errichtete.
Der Grundriss entspricht einem griechischen Kreuz, 17 Meter lang, wie es in der Renaissance modern war. Die Holzkirche enthält aber ebenso gotische Elemente und natürlich die Formensprache der finnischen Holzarchitektur. Im Rundbogen der Kuppel sind drei Buchstaben zu erkennen: IES. Annika geht wie andere Historiker auch davon aus, dass sich hier der Dachdecker der achteckigen Kuppel verewigt hat.
Das Altarbild und aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Gemälde an der Altarwand, die Martin Luther und Moses darstellen, stammen von C.F. Blom aus dem Jahre 1843.
Springende Knöpfe
Die Kirchenbücher sind leider irgendwann verbrannt und so weiß man wenig bis nichts über die Zeit. Wie damals üblich, saßen die Damen auf den linken, die Herren auf den rechten Kirchenbänken. Da es nicht möglich war, das Gotteshaus zu beheizen, wickelte man sich in Decken und saß auf Lammfellen, erzählt Annika. Und je mehr Einfluss man im Dorf hatte, umso weiter vorne durfte man sitzen.
Vom Altarstoff ist nur mehr eine Kopie in der Kirche zu sehen: Trage die Last, steht da. Und: Jesus wird die Tränen des Verlusts in Licht der Freude verwandeln.
Annika bezieht diese Empfehlung auch auf die schwierigen Zeiten. Etwa das Katastrophenjahr 1920, in dem viele Menschen, vor allem Kinder gestorben seien. Manche Familien hätten fast alle ihre Kinder in nur wenigen Wochen verloren. Grund waren meist ansteckende Krankheiten wie Typhus.
Und so wurden im Laufe von fast 200 Jahren rund 9.400 Menschen rund um die Kirche begraben. Im Schnitt waren es 40 bis 60 Beerdigungen pro Jahr, heißt es bei der Kirchengemeinde, in besonders schweren Zeiten, etwa während der Hungersnot 1867-68, waren es dagegen bis zu 200 pro Jahr.
Ganz besondere Momente landeten schon damals in der Zeitung. 1850 ist so ein Jahr, da ist in der alten Zeitung nachzulesen, dass die Kirche so überfüllt gewesen sei, dass den Damen die Knöpfe von den Blusen abgesprungen seien.
Das war aber sicher nicht der ausschlaggebende Grund, warum die Holzkirche von Petäjävesi 1994 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Und wenn, dann nur der inoffizielle, Der offizielle Grund ist, dass die Kirche ein Beispiel für die einzigartige, traditionelle ostskandinavische Holzkirchenbautradition ist.
50.000 Besucher aus aller Welt kommen hier jedes Jahr her. Für Gottesdienste wird die Kirche nurmehr im Sommer genutzt. Und am 26. Dezember erstrahlt die Kirche jedes Jahr im Kerzenschein.
Ein möglicher Grund, warum diese über 200 Jahre alte Kirche bis heute steht, ist vielleicht auch in dem Umstand zu suchen, dass sie nur rund 100 Jahre in Betrieb war. Schon seit 1879, als eine neue Kirche gebaut wurde, wurde sie nicht mehr benutzt.
Und so findet man schon lange keine Blusenknöpfe mehr unter den Kirchenbänken.
Besiedlung:
Petäjävesi war bis ins Mittelalter ein Gebiet von Jägern und Sammlern. Bis ins 19. Jahrhundert war die Region ein dünn besiedeltes und abgelegenes Gebiet. Die Einwanderung aus Savo in den Jahren 1550-1560 erhöhte die Anzahl der Häuser auf 13. Petäjävesi gehörte damals zur Muttergemeinde Jämsä und hieß damals noch Kuivasmäki.
- Öffnungszeiten: Im Sommer: täglich von 10.00-18.00 Uhr. Im Winter nur nach Anmeldung und für Gruppen ab zehn Personen.
- Im Sommer finden Mittwochs und Sonntags außerdem Konzerte in der Kirche statt.
- Infos zur Petäjävesi Kirche
Mit Dank an Visit Keuruu für die Unterstützung dieser Reise. Kiitos paljon!
Wer noch nach einem Übernachtungstipp sucht: ich habe mich in der Privatunterkunft im B&B Makasiini sehr wohl und gut aufgehoben gefühlt. Einkehrtipp: Pappilan Taverna in Keuruu.
Eine weitere sehenswerte Kirche in der Wildnis: Die 250 Jahre alte Kirche von Pielpajärvi bei Inari.