Mit der neuen finnischen Intendantin der Bregenzer Festspiele wird der Sommer am Bodensee finnisch blau-weiß. Lilli Paasikivi bringt nordische Künstler und Künstlerinnen sowie Werke nach Bregenz und zeichnet so ein Bild der klassischen Musikkultur Finnlands und ihres Esprits, wie man es bislang nicht gesehen hat. Und klar: ein Hauch finnischer Coolness ist auch dabei.
„Ich möchte im ersten Jahr meine finnische DNA präsentieren: Komponisten, Dirigenten und Künstler aus Finnland. Und ich bin ganz stolz darauf, denn in Sachen Hochkultur ist Finnland in Europa eine Großmacht. Bezogen auf die Einwohnerzahl hat Finnland überproportional viele international bekannte und erfolgreiche Künstler auf diesem Gebiet vorzuweisen“, erzählt mir Lilli Paasikivi bei einem Kaffee auf der Terrasse im Restaurant Bühne 3 in Bregenz. Es ist noch vor Mittag, doch die Sonne knallt bereits auf den hell gepflasterten Vorplatz der Festspiele und hellt den Platz auf wie Scheinwerfer die Seebühne.
Über Lilli Paasikivi
Begonnen hat Paasikivi ihre Karriere 1995 im Opernstudio der Finnischen Nationaloper in Helsinki. 18 Jahre lang war sie dort zunächst als Sängerin im Ensemble, bevor sie 2013 für weitere zehn Jahre in die Position der künstlerischen Leitung wechselte. Lilli Paasikivi konnte sich in Bregenz im Bewerbungsverfahren gegen 25 andere Interessenten durchsetzen, darunter vielversprechende Persönlichkeiten aus der nationalen und internationalen Kulturszene. Die Arbeit in Bregenz sei für sie eine neue Herausforderung. „Ich sehe sehr viele wunderschöne Möglichkeiten hier“, schwärmt sie, „mit den vier verschiedenen Bühnen, dass man gleichzeitig verschiedene Formate machen kann. Das ist toll!“ In Bregenz möchte sie verschiedene Kunstformen und auch neue Technologien ausprobieren und zugleich Sie neues Publikum anlocken.
Hier in Bregenz fühle sie sich sehr wohl. Seit Oktober lebt Paasikivi am Bodensee, die Landschaft sei ganz anders als in Finnland, aber wunderschön, schwärmt sie. Auch genieße sie es, nach acht Jahren in der finnischen Hauptstadt Helsinki in einer überschaubaren Kleinstadt zu leben. Das Wort „Kleinstadt“ will nicht so recht zum Thema passen, auch wenn es mit knapp 30.000 Einwohnern zweifellos eine ist – doch mit ihrer hochkarätigen Opernkunst, der imposanten Seebühne mit den aufwändigen Bühnenbildern und den technischen Meisterleistungen muss sie keinen Vergleich mit Großstadt-Opernplätzen scheuen.
Dieses international anerkannte Festival in Zentraleuropa will Paasikivi nutzen, um etwas ganz Neues zu zeigen – vor allem finnische Musik.
Als erste finnische Intendantin in Österreich will sie auch das „Exotische“ an Finnland zeigen, das bei den Bregenzer Festspielen greifbar und erlebbar werden wird.
Exotisch finnisch
Und es wird richtig exotisch finnisch:
Mit einem finnischen Tangoabend in der Montagehalle, einer industriellen Halle direkt neben der Seebühne mit sieben Meter hohen Türen, die an diesem Abend Richtung See geöffnet werden. Normalerweise werden hier die großen Bühnenteile für die Seebühne gefertigt. Doch im August ist Platz für Neues: Die schmucklosen hohen Wände werden dann mit großformatigen Fotografien von Juha Laitalainen vom Mittsommer erzählen, von den weißen Nächten im Norden und dem magischen Licht.
Eingeladen hat Paasikivi den finnischen Tangokönig von 2019 Johannes Vatjus und Arja Koriseva, die Tangokönigin von 1989. Jedes Jahr wird beim großen Tangotreffen „Tangomarkkinat“ in Seinäjoki ein Tangokönigspaar gekürt. Dann füllen sich die Bars, Cafés und Straßen des Ortes mit leidenschaftlichen Tangofans, die jeden Quadratzentimeter zum Tanzen nutzen und im Tangotakt schwelgen und träumen. Finnland ist neben Argentinien eine der wichtigsten Tango-Nationen, der Tanz ist fest im finnischen Alltag verankert.
Denn ein finnisches Sprichwort sagt: „Der finnische Mann redet nicht. Und er küsst nicht.“ Um seine Gefühle auszudrücken, benutzt er die melancholischen Klänge des finnischen Tangos, der seine Wurzeln im argentinischen Tango des frühen 20.Jahrhunderts hat, jedoch schnell an die musikalischen Vorlieben und die finnische Lebensart angepasst wurde – mal mit Anklängen an den Schlager, mal kombiniert mit deutscher Marschmusik. Immer in Moll und von Sehnsucht und Traurigkeit umweht. Womit der Tango endgültig die finnische Seele widerspiegelt.
„Beim Tango geht es immer um das ruinierte Leben, die unerfüllte Liebe oder die vergangene Liebe. Das ist eine ernste Angelegenheit, da wird nicht gelacht“, sagte mal ein Tangolehrer.
Alakulo – ein Ensemble von hochkarätigen Musikern des Londoner und Helsinkier Symphony Orchesters werden die Tangokönige begleiten und den Österreicherinnen und Österreichern das finnische Lebensgefühl des Tangos näherbringen. Kein Wunder, dass diese Veranstaltung der Bregenzer Festspiele als erste ausverkauft war. „Das freut mich besonders“, sagt Paasikivi, „denn es zeigt, wie neugierig und interessiert die Menschen hier an finnischer Kultur sind.“
Moderiert wird der Abend von Roman Schatz, dem wohl berühmtesten Deutschen in Finnland, der vor 40 Jahren der Liebe wegen von Überlingen am Bodensee ausgewandert ist und in Helsinki Karriere gemacht hat als TV-Moderator und Autor.
Passikivi geht es nicht nur um die nordische Dimension der Kunst, sondern auch um die Mentalität der Finnen.
So holt sie große finnische Kunst und Künstler diesen Sommer an den Bodensee.
Nordische Cooles mit Kantele und Saxophon
„Nordisch cool“ wird es dann so richtig mit dem Duo Ida Elina mit der Kantele und Jukka Perkko am Saxophon. Die Kantele ist uraltes finnisches Nationalinstrument, eine Art Zither, die schon im finnischen Nationalepos Kalevala vorkommt – zusammen mit Perkko entstehen ganz neuartige, mystische und zugleich moderne Klänge: Etwa Sting auf der Kantele – das hat wohl noch kaum einer live zu hören bekommen.
Sibelius – der Klassiker
Sibelius darf bei einem so hochkarätigen Festival natürlich nicht fehlen: In diesem Fall mit der Kullervo-Sinfonie und dem Wiener Symphonieorchester unter der Leitung von keinem geringeren als Jukka-Pekka Saraste .
Saraste war Chefdirigent des Finnischen Radiosinfonieorchesters, des WDR Sinfonieorchesters, Musikdirektor des Toronto Symphony Orchestra, Gastdirigent des BBC Symphony Orchestras, beim Philharmonischen Orchester Oslo und aktuell Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters Helsinki.
Seine Gastengagements führten ihn zu den großen Orchestern weltweit, sowohl in Europa als auch in Amerika.
Österreichische Erstaufführung: Borrowed Light
„Borrowed Light“ von Tero Saarinen feiert in Bregenz seine österreichische Erstaufführung. Seit der Uraufführung 2004 hat Borrowed Light weltweit über 50.000 Menschen mit seiner hypnotischen Verschmelzung von Bewegung, Musik und Licht in den Bann gezogen.
Für Borrowed Light ließ sich der Choreograph Tero Saarinen von den traditionellen Liedern und Tänzen der Shaker inspirieren, einer im 18. Jahrhundert in den USA gegründeten Freikirche, bekannt für ihren ekstatischen Schütteltanz und ihre strenge Arbeitsmoral. Doch in dem Stück geht es weniger um die Shaker-Bewegung selbst, sondern vielmehr um universelle Themen wie Gemeinschaft und Hingabe.
Gemeinsam mit seinen langjährigen kreativen Partnern – Lichtdesigner Mikki Kunttu und Kostümbildnerin Erika Turunen – setzt er Licht als kraftvolle religiöse Metapher ein und spielt mit Kontrasten.
Leben und Arbeiten am Bodensee
Paasikivis Tage – jetzt kurz vor der Eröffnung – sind prallgefüllt mit Proben – da schafft sie nur am frühen Morgen einen kurzen Sprung in den See. Und für den sonst so regelmäßigen Saunagang fehlt gar überhaupt die Zeit.
Die Menschen am Bodensee mag sie wegen ihrer Bodenständigkeit. Es sei ihr leicht gefallen, hier Kontakte zu knüpfen und aufzubauen, auch wenn sie erst seit Oktober vergangenen Jahres in Lochau zuhause ist.
Und natürlich vermisst sie ihre Familie, die in Finnland geblieben ist, ihr Freunde, ihr Ferienhaus und als leidenschaftliche Gärtnerin: all ihre Blumen, die jetzt in voller Pracht in ihrem Garten in Finnland stehen – von den Lilien bis hin zu den Pfingstrosen, die im hohen Norden natürlich erst sehr viel später blühen.
„Ich bin den ganzen Sommer über hier gebunden“, sagt die Festspiel-Intendantin, „aber ich genieße, was ich hier habe. Es ist eine unglaublich schöne Chance, hier auf so einem hohen Niveau mit großartigen Künstlern zusammenzuarbeiten. Ich jubel hier und genieße es ganz und gar.“
Das sind die finnischen Highlights
Eröffnung: Enescu: Oedipe
Musikalische Leitung: Hannu Lintu
Finnische Solisten: Tuomas Pursio, Iris Candelaria, Anna Danik
16. Juli 2025 – 19.30 Uhr | 20. Juli 2025 – 11.00 Uhr | 28.Juli 2025 – 19.00 Uhr – Festspielhaus, Großer Saal
Songs for a (Mad) King
Uraufführung des Werkes Farmer George von Osmo Tapio Räihälä.
19. Juli 2025 – 19.00 Uhr – Festspielhaus, Seestudio
Borrowed Light
Tero Saarinen Company – österreichische Erstaufführung
23. und 24. Juli 2025 um 20.00 Uhr – Werkstattbühne
Waldeinsamkeit mit YL Männerchor
Der YL Male Voice Choir zählt zu den finnischen Pionieren der Männerchormusik und gilt als einer der besten Männerchöre der Welt. Seit seiner Gründung im Jahr 1883 an der Universität Helsinki als Ylioppilaskunnan Laulajat beeindruckt er national wie international sowohl mit A-cappella- Programmen, als auch mit Aufführungen chorsymphonischer Werke. Chefdirigent ist Pasi Hyökki.
25. Juli 2025 18.30 Uhr Pfarrkirche Herz Jesu, Bregenz
Kaija Saariaho: Study for Life
Premiere: Tero Saarisens neues, immersives und multidisziplinäres Stück ist eine Hommage an die Musik von Kaija Saariaho. Seit ihrer ersten Begegnung 1991 verband die beiden KünstlerInnen eine tiefe künstlerische Freundschaft.
30. und 31.7. 2025 um 20.00 Uhr – Werkstattbühne
Sibelius: Kullervo-Sinfonie
Dirigent Jukka-Pekka Saraste und Wiener Symphonieorchester
Mit u.a. YL Male Voice Choir (Leitung Pasi Hyökki), Sopranistin Marjukka Tepponen
27. Juli 2025 um 11.00 Uhr – Festspielhaus, Großer Saal
Performance: Nordic Cool
Mystische Soundscapes mit „Kantele“ (ein uraltes finnisch-karelisches Saiteninstrument) und Saxophon
Ida Elina und Jukka Perko
5. August 2025 – 21.00 Uhr – Kunsthaus Bregenz
Tango am See
Tango am See gehört zum finnischen Sommer wie die Nordlichter zum Winter!
Arja Koriseva (Tangokönigin 1989) und Johannes Vatjus (Tangokönig 2019) und Ensemble Alakulo (David Gordon, Chris Garrick, Jani Pensola, Jarmo Julkunen)
Moderation: Roman Schatz
11. August 2025 – 20.00 Uhr – Werkstattbühne, Montagehalle
Hinweis in eigener Sache
Bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele am 16. Juli bin ich als Interviewgast eingeladen und darf als Finnlandexpertin mit ORFModeratorin Martina Köberle über all das Finnische bei den Festspielen plaudern – zu sehen live ab 9.55 Uhr auf ORF 2 und 3sat. Ich freu mich schon sehr drauf!
Lilli Paasikivi: Finnland steht nicht nur für Sauna und Tango, sondern es ist auch das Land, in dem im 21. Jahrhundert die meisten neuen zeitgenössischen Opern uraufgeführt wurden.
Eröffnung der Bregenzer Festspiele ist am Mittwoch, 16. Juli 2025, 10.00 Uhr im Bregenzer Festspielhaus. Die Eröffnung wird von ORF und 3sat übertragen.
Seit 1946 begeistern die Bregenzer Festspiele jedes Jahr tausende Zuschauerinnen und Zuschauer. Mit ihrer einzigartigen Atmosphäre und ihren riesigen, aus dem Bodensee aufragenden Bühnenbildern locken sie Jahr für Jahr sowohl Musikkenner als auch Opernneulinge an.
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Liebe Tarja, ich danke die für die vielen Infos, wenn du wieder etwas Neues hast, ich lese und schaue es gerne ! Vielen, vielen Dank
Ich freue mich, daß es dir gut geht und du soviel Glück und Zuspruch hast, mach weiter so …… LG Heimke
Liebe Heimke, vielen Dank für deine lieben Worte und schön, von dir zu lesen. Liebe Grüße in den Norden!