Karelische Piroggen, Lakritz, Softeis, Rentier-Chips, Lonkero. Auf all das freue ich mich jedes Mal, wenn es wieder nach Finnland geht. Doch so weit muss man gar nicht reisen. Finnland kommt zu uns „aus der Wildnis“.
Kosten, schmecken und schlemmen kann man auch auf der Grünen Woche in Berlin, die heute beginnt. Finnland ist nämlich dieses Jahr Partnerland der weltgrößten Agrar- und Ernährungsmesse. 1.700 Aussteller aus 60 Ländern sind dort vertreten, rund 80 davon kommen aus Finnland an die Spree.
Ich konnte einige von ihnen vor einigen Monaten besuchen und mir vor Ort ein Bild davon machen, was und wie sie produzieren. Was ihnen dabei wichtig ist und warum sie auf den deutschen Markt wollen.
Frühstück…bei der Müllerin
Wer zum Frühstück auf warmen Puuro steht, kennt die enorm große Auswahl, die es an Frühstücksbrei in Finnlands Supermärkten gibt.
Unter den schwierigen klimatischen Bedingungen in Finnland wächst bekanntlich nicht alles und die Vegetationsperiode ist viel kürzer.
Doch bevor wir in die Mühle gehen, bekommen wir weiße Schutzanzüge. Damit wir nichts, was da nicht hingehört, in den Produktionsprozess bringen. Dann geht es in die Produktion, die ich mir viel größer vorgestellt habe.
Myllärin – Das klingt wie die Müllerin…Und schon beginnts im Kopf zu singen…
Ich kann nicht umhin, bei einer Mühle kommen mir immer Max und Moritz in den Sinn. Frühkindliche Prägung.
Helsingin Mylly Oy, also Helsinkis Mühle, ist der größte Produzent von Bio-Getreideprodukten in Finnland. Die Ursprünge des Familienunternehmens gehen bis 1600 zurück, als die Familie Puhk aus Estland nach Finnland kam. „Gegründet wurde Helsinki Mills von meinem Urgroßvater 1934,“ erzählt Geschäftsführer Niklas Kumlin.
Heute ist Helsingin Mylly einer der größten Haferproduzenten Europas. Seit den 1990-er Jahren setzen sie bereits auf organische Produktion.
Und Niklas Kumlin hat seine ganz eigene Mission: „Wir wollen Teil sein, die Welt zu ernähren und zwar in einer verantwortungsvollen Weise.“
Kornstaub
Als wir zur Mühle rüberlaufen, entschuldigt sich Niklas für den „Saustall“ auf dem Platz. Den ich beim besten Willen nicht entdecken kann. Mühlen in Frankreich seien aber noch dreckiger, fügt er entschuldigend hinzu. Hinter mir kann ich nicht umhin mitzuhören, wie eine Frau lachend auf finnisch von typisch finnischer Untertreibung spricht: Schau dich doch mal um, die haben extra gefegt und die Wände geschrubbt, so sauber ist das hier.
Heute ist der Hauptsitz in Järvenpää, wo Getreideprodukte aller Art entwickelt und vertrieben werden. Weitere Standorte sind Vaasa und Närpiö. Von Helsinki aus geht es über flaches Land, durchbrochen von dunkelgrünen Wäldern.
Järvenpää liegt in der Region Uusimaa, nur 37 Kilometer nördlich der Hauptstadt Helsinkis. Järvenpää gehört zu einer der dicht besiedelten Gebiete Finnlands. Über 40.000 Einwohner leben hier auf einer Fläche von rund 40 Quadratkilometern. Järvenpää bedeutet soviel wie See-Ende. Es liegt am Ende des Tuusulanjärvi. Der Komponist Jean Sibelius hat hier in der Nähe viele Jahre gelebt.
Der Rohstoff kommt aus Finnland, Absatzmarkt ist längst nicht mehr nur Finnland, sondern die Getreideprodukte werden mittlerweile in 40 Länder der Welt exportiert. 35 Prozent der Produktion geht in den Export. Vor allem an die weiterverarbeitende Industrie. Doch jetzt wollen sie auch den Endverbraucher in Deutschland ansprechen. Unter anderem mit neuen Produkten wie glutenfreie Haferflocken.
Lange Mühlentradition
Nachhaltigkeit und Langlebigkeit sind einige der Unternehmenswerte. Der Betrieb ist in vierter Generation in Familienhand, Niklas Mama sitzt noch im Vorstand und irgendwann werden wohl Niklas Kinder das Ruder übernehmen. Alle Produktionsanlagen laufen mit erneuerbarer Energie, genutzt werden ausschließlich Wasserkraft und Ökostrom. Damit bleiben sie den Ursprüngen einer Mühle treu, denke ich mir, denn Wasser- und Windmühlen funktionierten ja auch nicht viel anders. Man ersetzte Muskelkraft durch natürliche Energien wie Wind und Wasser.
Seit Jahrtausenden gibt es Mühlen, wohl eine der ältesten und wichtigsten technischen Errungenschaften der Menschheit. Schon 1.200 Jahre vor Christus gab es erste Mühlen in Mesopotamien, die mit Wasserrädern angetrieben wurden.
Wasser- und Windmühlen gehören zu den ältesten und wichtigsten technischen Errungenschaften der Menschheit. Die bahnbrechende Kulturleistung des Menschen besteht darin, Muskelkraft durch natürliche Energien, Wasser und Wind, zu ersetzen.
Die Mühle, die erste und älteste, mit Naturkraft angetriebene Maschine der Welt, hat bereits 1200 Jahre vor Christus in der künstlichen Bewässerung durch Wasserschöpfräder in Mesopotamien ihren Ursprung.
Die Sendung mit der Maus
Und dann erfahren wir im Schnelldurchgang, wie aus Getreide Mehl wird. Nur 80 Mitarbeiter beschäftigt die Firma, das meiste wird durch hochtechnisierte Maschinen erledigt, die nur mehr überwacht werden müssen. In einem Labor werden Mahlgehalt oder auch die Konsistenz und Festigkeit von Teig untersucht. In einer weiteren Halle werden die Flocken auf automatisierten Bändern verpackt und in der letzten Halle liegen die fertigen Waren in deckenhohen Regalen zum Abtransport. Es ist kleiner, weniger laut und viel weniger staubig, als ich es bei einer Mühle vermutet hätte. Dafür riecht es umso besser. Nach langen, hellen Sommern und langgezogenen Kornfeldern, deren Ähren sich sanft im Abendlicht wiegen.
Und dann gibt es ihn doch, ganz kurz, „den Müller“, der den Mehlsack füllt und immerhin fast auf der Schulter abtransportiert.
Ich komme mir ein bisschen so vor, wie bei der Sendung mit der Maus. Aber es stimmt ja auch irgendwie: Nun weiß ich also, woher meine Frühstücksflocken kommen.
Hafer Smoothie
Zutaten für vier Personen
1 dl Haferflocken
4 dl Preiselbeeren
3 dl Naturjoghurt
3 dl Milch
1/2 dl Honig
Die Beeren, Joghurt und Milch gut durch mixen. Dann nach und nach die Haferflocken dazu geben und weiter mit dem Mixer gut verrühren. Mit Honig abschmecken. Fertig.
- Wusstest du? Die Zahl der ökologisch bewirtschafteten Flächen in Finnland in Finnland ist in den vergangenen zehn Jahren von 150.000 Hektar auf 250.000 Hektar angewachsen. (Quelle: Finnish Food Safety Authority Evira)
Puuro
Traditioneller Puuro wird mit Wasser aufgekocht. Manche mögen es aber auch mit Milch. Dann noch ein Klacks Joghurt oben drauf, Beerensoße und ein paar Nüsse – und fertig ist das perfekte Frühstück, das lange satt macht und warm hält.
Milchhof Harjula
Apropos Milch: wir besuchen einen Milchhof vor den Toren Helsinkis. Katriina Valkamäki und Antero Kotamäki führen ihn zusammen mit seiner Mutter Helena. Seit mehr als 90 Jahren wird dieser Bauernhof als Milchhof betrieben. Im Moment haben sie 125 Kühe und etwa 70 Färsen. Weil sie am Besten mit den klimatischen Bedingungen zurecht kommen, halten sie Holstein und Ayrshire Kühe. Letztere sind nach einer schottischen Grafschaft benannt und sollen besonders zäh, ausdauernd und effizient sein. Passt ja irgendwie zur Sisu Mentalität der Finnen.
Mehr als 11.000 Liter Milch gibt jede Kuh pro Jahr. Das sind Hochleistungskühe. 1.250.000 Liter Milch haben die Kühe 2017 zusammen abgeliefert. Katriina sagt, das geht nur, wenn man sich gut um die Tiere kümmert. So gibt es ein System, das die Körpertemperatur der Kühe im Stall misst. So kann Katriina erste Anzeichen von Unwohlsein sehr schnell erkennen und vorzeitig reagieren. Ein Veterinär kommt einmal im Monat zur Kontrolle. Antibiotika werden nicht generell, sondern nur tatsächlich erkrankten Tieren verabreicht, die in einen andere Bereich kommen, bis es ihnen wieder besser geht. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Produktionskosten aufgrund der klimatischen Bedingungen im Norden höher sind als anderswo.
Robotertechnik im Stall
Bevor wir in den Stall dürfen, müssen wir – aus hygienischen Gründen – wieder in die weißen Anzüge schlüpfen. Mich erinnert das an den James Bond Film „In tödlicher Mission“, als Bond von den Bösen in weißen Schneeanzügen die Schneeberge hinunter gehetzt wird. Ich habe dann noch mal nachgesehen. Sie waren gar nicht weiß, sie waren schwarz. Wieso ich die Szene farblich komplett falsch in meinen Gehirnwindungen abgespeichert habe, ist mir schleierhaft.
Auf jeden Fall sind es Ganzkörper-Anzüge, Einmal-Overalls mit Kapuze und Schuhüberziehern, die uns aussehen lassen, wie ein Entseuchungstrupp mit Kameras, Block und Stift.
Gemolken werden die Kühe von zwei Robotern, eine Technik, die ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Die Kühe stellen sie selber an und die Melkmaschine setzt vollautomatisch an und beginnt zu melken. 2,9 mal gehen die Kühe im Schnitt am Tag an diese Maschine, erzählt Katriina.
Im Stall können sich die Kühe frei bewegen. Und wenn es nicht zu kalt ist, können sie auch raus. Das scheint sich auszuzahlen: 2017 waren 79 Prozent der produzierten Milch von der höchsten Qualitätsklasse.
Für die Finnen ist es so was wie ein Nationalgetränk.
Mehr dazu in: Kansallisjouma – Finnland liebt Milch.
Katriina berichtet von einem schwierigen Jahr, der Sommer war zu heiß und zu trocken. Es gab zu wenig Gras für die Kühe, das sie selbst auf den Flächen rund um den Hof produzieren. Das Jahr davor war dagegen zu nass und zu kalt gewesen. Und auch die Preise sind eingebrochen – nicht zuletzt wegen des Embargos gegen Russland, das ein wichtiger Handelspartner Finnlands ist. So bekamen die Bauern bislang rund 45 Cent pro Liter, jetzt nur mehr 39 Cent.
Nobelpreisträger
Weiter verarbeitet wird die Milch von Valio, dem wohl größten Produzenten von Milchprodukten in Finnland. 1905 wurde Valio von Farmern gegründet. Und heue sagen sie über sich selbst, dass sie die reinste Milch von den gesündesten Kühen in der EU produzieren. Die Auswahl in den Supermärkten ist gigantisch. Es gibt unzählige Arten von Milch: mit viel oder wenig Fett, lactose- und glutunfrei, sogar fettfreie Milch. Es gibt Milch mit Vitamin D oder mit speziellen Proteinen.
Stolz sind sie bis heute – und wie ich finde völlig zu Recht – dass sie einen Nobelpreisträger in ihren Reihen hatten. Artturi Ilmari Virtanen hat nämlich seine Laufbahn im Labor von Valio begonnen. Der promovierte Chemiker erhielt 1945 den Nobelpreis für Chemie für seine Entdeckungen auf dem Gebiet der Nahrungsmittelchemie, insbesondere für seine Methode, wie man Futtermittel und Futterpflanzen konserviert, ohne dass wichtige Vitamine zerstört werden. Später entwickelte er ein Verfahren, wie Kühe proteinfrei ernährt werden können.
Und von Milch können die Finninnen und Finnen offenbar nicht genug bekommen: rund 120 Liter trinkt jeder pro Jahr – vom Baby bis zum Greis. Im Vergleich dazu sind es in Deutschland nur 52 Liter.
Herzlichen Dank an die Messe Grüne Woche in Berlin und den Finnischen Zentralverband der landwirtschaftlichen Produzenten und Waldbesitzer MTK, die diese Reise ermöglicht haben.
Wer noch nach einem Hoteltipp sucht, gut übernachten kann man in Helsinki im Hotel Katajanokka. Es ist ein ehemaliges Gefängnis. Wie es sich anfühlt, in einer Ex-Zelle zu schlafen, das erfahrt ihr in meinem Buch „111 Orte in Helsinki, die man gesehen haben muss“ mit Fotografien von Juha Metso.
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