Nach Weihnachten und Juhannus wohl der bedeutendste Feiertag: Der Tag der Unabhängigkeit in Finnland. Oder umgekehrt?
Der Tag der Unabhängigkeit. Seit Tagen das beherrschende Thema. Denn erstmals fanden die Feierlichkeiten nicht in Helsinki statt. Und der Dresscode wurden das erste Mal gelockert. Was eine Aufregung…
Bald 100 Jahre, seit 1917 ist Finnland unabhängig. Traditionell zündet man um 18 Uhr blau-weiße Kerzen an und stellt sie ins Fenster. Jedes Jahr gibt es eine Militärparade und den offiziellen Empfang des Präsidenten.
Da „sein Schloss“ aber derzeit renoviert wird, wurden die Feierlichkeiten „Linnan Juhla“ nach Tampere verlegt.
Kollektiv sitzt das ganze Land vorm Fernseher und verfolgt die Live-Übertragung.
Auf den Straßen ist es ungefähr so ausgestorben wie deutsche Straßen während der Fußballweltmeisterschaft, wenn Deutschland spielt.
Der Präsident steht neben seiner Frau und schüttelt Hände. 1.800 wichtige Persönlichkeiten stehen brav Schlange, flanieren langsam über den roten Teppich und wünschen dem Präsidenten „Hyvää Itsenäisyyspäivää“. Politiker, Botschafter, NGOs, Schauspieler, Kriegsveteranen, Sänger, Sportler, Offiziere, Wissenschaftler, alles was Rang und Namen hat oder sich verdient gemacht hat durch besonderes ehrenamtliches Engagement oder andere herausragende Fähigkeiten. Stundenlang.
Hinter dem Präsidentenpaar stehen zwei ranghohe Militärs. Angeblich, falls einer der beiden vom vielen Händeschütteln und Stehen umfallen sollte.
Auf den Sofas in finnischen Wohnzimmern wird derweil der neueste Tratsch ausgetauscht und über Kleider und Frisuren diskutiert. Auf Facebook und Twitter wird munter mitkommentiert.
Apropos diskutiert: der Ortswechsel und überhaupt die Abwechslung in der jahrelang gleich ablaufenden Tradition wurde tagelang diskutiert – wie das organisatorisch vor sich gehen wird, wie all die Menschen anreisen werden und die Vor- und Nachteile des gelockerten Dresscodes von allen Seiten beleuchtet. Er ist weiterhin sehr festlich, aber erstmals mussten die Frauen nicht bodenlange Kleider tragen. Die Friseure in Tampere haben Doppelschichten eingelegt und die Designer sich die Hände gerieben.
Unabhängigkeitstag
Anschließend gibts normalerweise einen großen Ball. Aber die Halle in Tampere war nicht groß genug, also gab es ein Konzert, Sibelius natürlich, umrahmt von Gedichten, und zum Abschluss die Nationalhymne Maamme.
Schnipsel der finnischen Musik und Literatur, die viel über mindscape dieser Nation aussagen.
In den kurzen Nachrichten dazwischen erfahren wir von einigen Ausschreitungen in Tampere. Ein paar Scheiben seien zu Bruch gegangen.
Danach dann Essen im Stehen, Interviews und die Aftershowparty, bei der die derzeit angesagten Bands auftreten.
Punsch wird gereicht, wobei die genaue Rezeptur geheim gehalten wird.
Im Fernsehprogramm gehts dann aber noch weiter. Auf Wunsch der Zuschauer wird der Grandprix-Sieg von Lordi von 2006 nochmal gezeigt und anschließend der Weltmeisterschafts-Sieg der Eishockey-Nationalmannschaft. In voller Länge!
Zum Pflichtprogramm gehört außerdem der Film „Der unbekannte Soldat“ von 1954. Ein grausliges Kriegsdrama, das früher schon am Nachmittag gezeigt wurde. Wegen der mittlerweile auch hier geltenden Altersempfehlungen wurde es nun ins Spätabendprogramm verschoben.
Mir reicht allerdings ein kurzer Blick in diesen Film. Mein Abend endet mit Glöggi und Schoki, der neuerlichen Bestätigung, wie gastfreundlich die Finnen sind, in diesem Fall mein Cousin und seine Familie, leichtem Schneetreiben auf vereisten Straßen und der Erkenntnis, dass Traditionen nicht immer schlecht sind.