Winterfischen in Lappland hat lange Tradition. Die Art und Weise hat sich seit Jahrhunderten kaum verändert. Doch wie kommt man durch das einen halben Meter dickes Eis zum begehrten Fisch?
Jari Rossi aus Muonio zeigt uns das Geheimnis. Direkt vor seinem Haus. Am Jerisjärvi. Der Schnee knirscht unter unseren Schuhen. Die Kälte piekst auf dem Gesicht und beim Ausatmen steigen weiße Wölkchen in die Luft. Obwohl es schon bald mittag ist, fühlt es sich an wie 5 Uhr morgens – bläuliches Licht. Dämmerung. Als wollten sich Nacht und Tag nicht voneinander trennen.
Vor uns liegt der zugefrorene See. Wobei Anfang und Ende, die Grenze zwischen Land und Wasser, nicht auszumachen sind. Der Schnee deckt alle Grenzen zu. Blaue Stunde. Den ganzen Tag lang.
JERISJÄRVI
Der See heißt Jeris. Der Name kommt aus dem Samischen und bedeutet soviel wie Frage. Was ist die Frage? Wer fragt? Oder kann man den See fragen und er hat vielleicht eine Antwort? Ist es vielleicht gar eine Aufforderung, Fragen zu stellen?
12 Kilometer lang ist der See Jeris, der größte in der Region Muonio in finnisch Lappland.
FISCHER UND JÄGER
All das erfahren wir von Jari Rossi, der hier direkt am See lebt. Genauso wie seine Vorfahren. Seit 1837 schon lebt seine Familie am Jerisjärvi. Wo man herkommt, wo die eigenen Wurzeln liegen und das Ehren der Vorfahren scheint hier einen höheren Stellenwert zu haben. „Ich bin Fischer, Jäger, Schamane und Geschichtenerzähler.“ Sein Großvater war Jäger, Rentierhirte und Pferdezüchter.
„Er hatte ein Rentier-Taxi,“ erzählt Jari. Mit dem Rentierschlitten brachte er damals Touristen zum Pallas Hotel. „Er hatte ein automatisches Radio. Nachdem er die Touristen abgeliefert hatte, stellte er das Radio wie einen Wecker ein und schlief dann im Schlitten, bis das Radio ihn weckte.“ Mit dem Rentier-Taxi war sein Großvater einer der ersten, die in dieser Region mit Touristen Geld verdiente. „Das ist der Grund, warum ich heute auch im Tourismus arbeite,“ sagt Jari.
___STEADY_PAYWALL___
IN DER KOTA
Jari trägt Luhkka, einen samischen poncho-ähnlicher Cape mit Kapuze und bunten Verzierungsnähten. Eine typische Winterkleidung, die über den warmen Jacken getragen wird. Gefertigt wird es aus Wadmal, ein schweres Gewebe aus Wolle, das gewalkt wird, wodurch der Stoff strapazierfähiger, vor allem aber winddicht und wasserabweisend wird. An seinem Gürtel hängt ein Puukko. Und seine Leder-Fell-Handschuhe sind weit größer als seine Hände.
In seiner Kota direkt am See brennt bereits ein heimeliges Feuer. Auf den einfachen Holzbänken rund um das Feuer liegen Rentierfelle. Die Wände aus Polarkiefer sind über die Jahre und durch den Rauch dunkel eingefärbt. Jari setzt in einem großen schwarzen Kessel Kaffee auf. Der Kessel hängt über dem Feuer und es dauert nicht lange, bis der gesamte Raum von Kaffeeduft erfüllt ist.
WINTERFISCHEN IN LAPPLAND
Joumustus ist eine uralte Form des Winterfischens. Fischen gehört ganz eng zur damaligen Lebensweise. Als nach der Eiszeit die ersten Menschen in diese Gegend kamen, fingen sie an zu fischen und zu jagen. Die tausenden von Seen in Finnland lieferten den Menschen die Nahrungsgrundlage. „Und das hat sich bis heute nicht geändert. Wir fischen immer noch in derselben Weise wie damals. Nur das Material, das wir verwenden, ist ein bisschen besser geworden.“
Jari will uns zeigen, wie am Jerisjärvi seit Urzeiten im Winter gefischt wird. Zunächst deckt er das Eisloch auf, das er über Nacht mit Styropor abgedeckt hatte, damit es nicht so schnell zufriert.
Mit einem seltsam verbogenen Haken fischt er unter der Eisdecke nach einem Seil. Das ist das eine Ende des Netzes. Jari zeigt uns, wie die Netze unter dem Eis ausgelegt werden und welches Werkzeuge er dafür benutzt.
Das Netz ist 20 Meter lang und 1,80 Meter breit. Das war früher so und ist heute nicht anders. Der Clou: rund 25 Meter entfernt ist ein zweites Eisloch. Nachdem er das Netz am ersten Eisloch kontrolliert hat, kann es vom zweiten Loch aus wieder unter die Eisdecke ziehen. So funktioniert Winterfischen in Lappland – genial!
FISCHKÜSSE
Jari beginnt nun, das Netz vorsichtig aus dem Wasser zu ziehen. Schon nach wenigen Metern kommt der erste Fisch zum Vorschein: Siika – Felchen. Vorsichtig befreit er den Fisch von den Schnüren und wirft ihn auf den Schnee. Und wir dürfen testen, wie Joumustus geht, wie der Fisch mit bloßen Händen schonend aus dem Netz befreit wird.
Wie er das macht, könnt ihr in diesem Video über das Winterfischen sehen.
Im Netz hängt auch ein Fisch, der noch viel zu klein und zu jung ist. Jari befreit ihn vorsichtig und entlässt ihn zurück in die Freiheit, nicht jedoch ohne ihn vorher zu küssen und mit den Worten zu verabschieden: „Machs gut! Wir sehen uns nächstes Jahr wieder!“
VERBUNDENHEIT MIT DER NATUR
„Wir brauchen die Natur. Deswegen fühlen wir uns mit ihr verbunden. Die Natur ist wie unsere Familie. Wir respektieren die Natur und halten sie sauber. Das Wasser zum Beispiel, denn das Wasser gibt uns Nahrung, gibt uns Leben. Wir gehen jagen und die Natur gibt uns Fleisch, aber wir töten nicht alle Tiere, immer nur das, was wir zum Überleben brauchen.“
Wichtig ist ihm außerdem noch: „Die Forschung hat es mittlerweile auch bewiesen: wenn Städter nur eine Stunde im Wald verbringen, dann geht es ihnen gleich besser. Und wir sind hier vom Wald umgeben.“
Und so gibt der Jerisjärvi den Bewohnern hier seit Menschengedenken das, was sie zum Leben brauchen. Und vielleicht auch die eine oder andere Frage.
Hier das Video dazu:
DER SEE & DIE FRAGEN
Ein See namens Frage. Der jetzt unter dem Schnee liegt und scheinbar schläft. Wie es hier wohl im Sommer aussieht, frage ich mich unweigerlich. Welche Farbe der jetzt weiße See wohl dann hat und wo wohl das Ufer verläuft. Ob es ein stiller oder aufgebrachter See ist, ob sein Ufer mit Schilf bewachsen ist und sein Grund aus Steinen oder Sand besteht? Fragen über Fragen.
Der See antwortet nicht. Da muss ich wohl im Sommer wiederkommen.
Jari kennt viele Geschichten.
Hier kannst du ihn treffen:
Jari Rossi / Keimiön Koukkaus
Keimiöniementie 227 | 99300 Muonio
Lust auf mehr VIDEOS aus Finnland?
hei Tarja, käväsit mun kotikonnuillla,minulla ja veljilläni on siinä Keimiöniemen nokassa mökki jo 60 luvulta lähtien . Tunsi tämän Jarin papan aatu Keimiöniemen ja myös 60 luvulla hänen mummonsakin. He asuivat siinä Jarin talon vieressä silloin,.Me haettiin kesällä sielä aina maitoa, kun olimme mökillä. Olen ennen pääsiäistä ystävien kanssa siellä 3viikkoa. Ehdottamasti kauneninta aikaa olla siellä. Kesällä heinäelokuussa olemme 3 sukupolvea pari viikkoa, että lapsenlapsetkin oppivat tuntemaan Lapinluontoa.Oli kiva taas lukea sinun kertomuksesi Kemiön Samaanista.
Liebe Ulla-Maija!
Das gibts ja nicht! Das wusste ich gar nicht! Für alle Nicht-Finnen sei kurz erklärt, dass Ulla-Maija genau diesen Platz seit den 1960-er Jahren kennt und ganz ganz oft im Sommer dort war. Und ebenso die Geschichten über den Großvater kennt.
Ach, schön, wenn ich damit deine Erinnerungen auffrischen kann. Wie klein die Welt doch manchmal ist… Unglaublich… Schöne Grüße nach Bremen! Tarja
Hallo Tarja, die Videos sind toll! Da hat man das Gefühl, man ist ein bisschen dabei gewesen. Mehr davon! Schönes Wochenende, Georg
Vielen Dank! Das freut mich. Und auf Youtube und Vimeo gibt es noch mehr, falls man noch eine Portion Finnweh braucht. 🙂 Dir auch ein schönes Wochenende, tarja
Liebe Tarja, du hast mich mit dem Artikel ganz neidisch gemacht! Zu gern würde ich selbst im Rentiertaxi durch den Schnee fahren und mitten im Nirgendwo ein Lagerfeuer geniessen. Ein bestimmt einzigartiges Erlebnis! Vielen Dank, dass du uns daran teilhaben lässt.
Liebe Sarah, sehr gerne und schön, dass dir der Artikel gefällt. Vielleicht kannst du ja deine Reisepläne für dieses Jahr Richtung Norden ausrichten? Du wirst ganz bestimmt nicht enttäuscht werden. Rentiere sind wirklich faszinierende Tiere. Und die Landschaft mit ihrer Weite und Stille ist einfach nur magisch. 🙂
Ein interessanter Beitrag über Lappland. Irgendwann muss ich da auch noch hin und Felchen fischen bzw. zuschauen. Ich dachte immer Felchen gibt’s nur am Bodensee
Hallo Dagmar, das dachte ich auch, dass es Felchen nur im Bodensee gibt 🙂 Zuschauen finde ich im Übrigen viel besser als fangen. Wobei es in Finnland noch kein Problem gibt mit der Überfischung. Kein Wunder, bei 188.000 Seeen…. Vielen Dank für dein Feedback!
Liebe Tarja,
nach Lappland möchte ich auch so gerne mal. Winterfischen scheint ja ein echtes Abenteuer zu sein 🙂 Danke für die tollen Tipps!
Liebe Grüße
Ines
Liebe Ines, danke für deine Nachricht. Vor allem diese Art des Winterfischens ist wirklich speziell. Typischerweise angeln die Finnen ja sonst mit kleinen Angeln, die sie in ein Loch halten, dass sie ins Eis geschlagen haben. Viele Grüße, tarja
Wow, ganz toller Artikel, so etwas mag ich! Die Sami möchte ich auch mal näher kennenlernen. Super, dass Du auch geschrieben gast wo man Jari finden kann.
Tolle und interessante Kultur, die ja such wie viele andere um ihr „überleben“ kämpfen muss.
Lg Miriam
Liebe Miriam, herzlichen Dank für deine Rückmeldung. Ja, die Sami sind als letzte Ureinwohner Europas wirklich ein spannendes Volk mit langer Geschichte und mystischen Traditionen, die sie zum Teil noch heute leben – oder besser: heute wieder leben können. Hoffen wir mal, dass es so bleibt. Die Rahmenbedingungen werden für sie ja nicht einfacher. Insbesondere der Klimawandel macht sich auch in Lappland bemerkbar. Ich hoffe, du kannst es bald selber erleben. Ich drücke auf alle Fälle die Daumen !
Oh wow, wie cool (im wahrsten Sinne des Wortes *lach*). So etwas wäre genau nach meinem Geschmack!! Hast mich nun wirklich neidisch gemacht. Ich liebe nämlich solche Abenteuer. Das steht jetzt auf alle Fälle auf meiner To-Do Liste 🙂
Liebe Grüße,
Michaela
Liebe Michaela, das freut mich sehr, wenn ich andere mit meiner Begeisterung für Finnland anstecken kann. Dann drücke ich mal die Daumen…vielleicht klappt es ja schon diesen Winter. Der dauert ja im Norden ein bisschen länger als bei uns (*lach*) Schönes Wochenende!