Adventskalender Finnland ©Tarja Prüss | Tarjas Finnlandblog

Es war kein leichtes Jahr. Die pandemiebedingten Einschränkungen haben vieles erschwert oder unmöglich gemacht. Flüge mussten storniert, Reisen abgesagt werden.

Praktika und Schullandfahrten fielen ganz ins Wasser. Umso erstaunlicher, dass Gastschüleraufenthalte dieses Jahr in Finnland dennoch möglich waren.

Adventskalender - Tag 19: "Ich werde definitiv zurückkommen"

Sie war finnisch blond und hatte eine Haut wie zartes Porzellan. Päivi hieß sie und war meine Schwester im Herzen bei meinem Schüleraustausch in Helsinki.

Vieles ist verblasst im Laufe der Zeit, überlagert von anderen, neuen Eindrücken und Erinnerungen. Aber die Gefühle, die ich mit diesem Aufenthalt verbinde, sind weiterhin glasklar. Noch heute kann es mir in Helsinki passieren, dass ich um eine Ecke komme oder einen Geruch einsauge und augenblicklich bin ich in der Welt von damals. Eine aufregende Welt, mit vielen Ungewissheiten und Unsicherheiten ja klar, aber auch eine sehr fröhliche und unbeschwerte Lebenswelt.

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Hanayo in Helsinki
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Leben in Finnland: fluchen auf finnisch

Ähnlich ist es gerade jetzt vielleicht auch für Hanayo. Meine Nichte Hanayo ist 15 Jahre alt, in Berlin groß geworden und im Moment gerade in Finnland, genauer gesagt in Espoo in der Metropolregion Helsinki.  Und mit ihren langen blonden Haaren und den fein geschnittenen Gesichtszügen erinnert sie mich ein wenig an Päivi. Seit August lebt sie in einer Gastfamilie und geht dort zur Schule. Vermittelt wurde der Gastschüleraufenthalt von der Deutsch-Finnischen Gesellschaft (DFG). Nur fünf Schüler*innen aus Deutschland konnten dieses Jahr nach Finnland, der Aufenthalt für finnische Schüler*innen musste komplett ausfallen. Für nächstes Jahr werden übrigens wieder Gastfamilien gesucht.

Neben Gast-Papa und Gast-Mama hat Hanayo nun auch zwei neue „Schwestern“: „Die ältere heißt Kanerva und sie ist 15 Jahre alt und meine kleinere Schwester Kirsikka ist 13 Jahre. Sie gehen in eine upper secondary school in Veikkola und ich gehe in eine high school in Espoo. Ich kann mehr Finnisch verstehen als ich z.B. lesen oder sprechen kann. Was manchmal ganz lustig ist, weil ich Gespräche verstehe, die ich nicht verstehen sollte und dadurch lustige Situationen entstehen. Weil ich hauptsächlich unter Jugendlichen war, kenne ich viele Jugendwörter und ich fluche jetzt meistens auch auf finnisch. Ich würde sagen, dass ich in diesen 4 Monaten mehr Finnisch gelernt habe als Französich in drei Jahren Französischunterricht“, sagt Hanayo.

Das erste Mal für eine so lange Zeit von der Familie weg zu sein, ist zugleich Abenteuer und Herausforderung. Eine fremde Sprache, unbekannte Regeln und Verhaltensweisen, eine neue Familie, neue Geschwister, neue Mitschüler. Und vielleicht Heimweh – nach Mama und Papa zuhause. Freunde, von denen man plötzlich abgeschnitten ist. Aber auch viel Raum für Entwicklung, Wachsen, Reifen.

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Hanayos Impressionen von Finnland

Persönlichere Beziehungen zu den Lehrern

Tarja: Wie läuft Schule in Finnland?

Hanayo: Die Schule und das Schulsystem sind so unterschiedlich zu Deutschland, dass man es gar nicht vergleichen kann. Es fängt an damit, dass das Verhältnis zu den Lehrern viel persönlicher ist. Man spricht alle Lehrer mit Vornamen an, weil es keine Sie-Form gibt. Man erzählt sich gegenseitig vom Tag und schreibt mit Herz-Emojis auf Whats-app. Es wirkt nicht so, als wären Lehrer eine strenge Erziehungsperson, vor der man Angst haben muss, es fühlt sich eher an als wäre man befreundet. Ich habe nie mitbekommen, wie ein Schüler angemeckert wurde, weil etwas falsch gemacht wurde oder nicht verstanden wurde.

Ein weiterer großer Punkt ist die Nutzung von Medien. Alle Schülerinnen und Schüler kommen jeden Tag mit ihrem Computer in die Schule, der auch meistens in jeder Stunde benötigt wird. Alle Aufgaben kommen über Google Classroom oder über den eigenen Schulserver. Alles wird mithilfe vom Internet unterrichtet und alles ist übersichtlich an einem Fleck, womit man auch keine Arbeitsblätter oder sonstiges verlieren kann. Alle Tests und Examen und sogar die Abiklausuren werden online geschrieben. Alle Bücher gibt es im Internet und man muss weder Stifte noch Papier mitbringen, was es deutlich umweltfreundlicher und auch die Schultasche um einiges leichter macht.

Es gibt auch einen Schul-Instagram Account, der sehr regelmäßig über alle Schulereignisse informiert, damit kein Schüler mehr etwas vergisst. Ab der gymnasialen Oberstufe wird nur in Kursen unterrichtet, das heißt dass man in jedem Fach unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Jahrgängen um sich herum hat. Dadurch wird man sozialer und kommt mit mehr Leuten in Kontakt.

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Hanayos Impressionen von Finnland

Tarja: Wie ist das Leben in einer anderen Familie?

Hanayo: Klar war der Anfang ungewohnt weil ich die ganzen Abläufe, Essenszeiten und und und nicht kannte. Aber ich habe mich sehr schnell eingelebt und bin auch sofort super klar gekommen. Ich fand das sehr interessant wie unterschiedlich Familien funktionieren und alles handhaben weil ich ja nur meine eigene kenne.

Tarja: Du hast den Herbst und den Winter im Süden Finnlands erlebt: Wie überstehst du die dunkle Jahreszeit?

Hanayo: Ich überstehe die dunkle Winterzeit, indem ich mich oft mit Freunden treffe und meistens nur raus gehe, wenn es hell ist, was nicht wirklich einfach ist. Weihnachtslichter und Musik im ganzen Haus machen auch bessere Stimmung und wenn Schnee liegt, hilft das sehr, um alles etwas heller und freundlicher zu machen.

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Hanayos Impressionen von Finnland

"Ich würde es sofort wieder machen"

Tarja: Was hat sich durch Corona geändert an deinem Alltag in Finland?

Hanayo: Da alle gymnasialen Oberstufen (Lukio) in Helsinki und Espoo wegen zu vielen Coronafällen ins Homeschooling versetzt wurden, musste ich leider auch den ganzen Dezember zu Hause bleiben und von da aus unterrichtet werden. Dadurch dass die Schulen sowieso digital sind und alles online ist, ist es mir und der Schule nicht wirklich schwer gefallen, den Homeschool Unterricht mit zu veranstalten.

Tarja: Gehst du dort auch in die Sauna?

Hanayo: Ja, ein paar Mal war ich mit meiner Freundin im Sommer in deren Sommerhaus und da haben wir Sauna gemacht, aber hier in Espoo in der Familie war ich nicht in der Sauna.

Tarja: Wenn du zurückblickst auf deinen Schüleraustausch in Finnland – Würdest du es wieder machen – und wenn ja warum? Und würdest du es anderen empfehlen und warum?

Hanayo: Oh ja! Ich würde es unfassbar gerne wieder machen und dann am besten ohne Corona. Ich werde auch definitiv zurückkommen nach der Schule. Die ganzen Erfahrungen, die ich hier gemacht habe und alle Ereignisse, die ich erlebt habe, bekommt man einfach nirgendwo anders auf der Welt und es war etwas ganz besonderes, was ich nie vergessen werde. Man lernt nicht nur ein neues Land mit der Sprache kennen, sondern das ganze Leben. Ich habe den ganz natürlichen finnischen Alltag kennengelernt, welchen man nie erfahren würde, wenn man nicht hier leben würde. Ich finde jeder, der die Möglichkeit hat, ein Austauschjahr in Finnland zu machen, sollte sie auf jeden Fall nutzen. Die ganzen Erlebnisse kann dir keiner nehmen und du bekommst sie auch nur hier in Finnland. Anderen Austauschschülern würde ich empfehlen, immer offen zu all den neuen Sachen zu sein, die einem begegnen. Man darf nicht schüchtern sein und muss auf Leute zugehen und z.B. einfach ein Gespräch starten, weil Finnen das meistens nicht von alleine machen würden.

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Hanayos Impressionen von Finnland
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Hanayos Impressionen von Finnland

Tarja: Rechtzeitig zum Fest fliegst du wieder nach Hause nach Berlin zu deiner Familie. Wie hast du denn die Weihnachtszeit in Finnland erlebt?

Hanayo: Durch Corona ist jetzt sowieso alles anders als normalerweise. Es gibt keine Weihnachtsfeiern und sonstige Feierlichkeiten. Aber trotzdem versuchen die Finnen das beste draus zu machen. Zum Beispiel leuchten in fast jeder Straße in Helsinki die Weihnachtslichter und alles sieht sehr winterlich aus. Es wird jeden Abend Glögi getrunken und am Wochenende Piparkakku gebacken.

Herzlichen Dank liebe Hanayo! Ich wünsche Dir alles Gute, wunderbare Weihnachtstage und Ferien in Berlin und drück die Daumen, dass du ganz bald wieder nach Finnland zurückkommen kannst.

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Hanayos Impressionen von Finnland
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Hanayos Eindrücke von Finnland

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